Die Geisha - Memoirs of a Geisha
verschrumpelte alte Gurke verwandeln.«
Da Kürbisköpfchen und ich im selben Alter waren und uns in der gleichen ungewöhnlichen Situation befanden, bin ich sicher, daß wir uns, wäre es nur möglich gewesen, oft miteinander unterhalten hätten. Aber wir wurden so sehr von unseren Pflichten in Atem gehalten, daß wir fast kaum noch Zeit für die Mahlzeiten hatten – die Kürbisköpfchen vor mir einnahm, weil sie in der Okiya die Ältere war. Wie ich bereits erwähnt habe, war Kürbisköpfchen ein halbes Jahr vor mir gekommen, doch sonst wußte ich sehr wenig von ihr. Also fragte ich sie:
»Kommst du aus Kyoto, Kürbisköpfchen? Du hast einen Akzent, der darauf schließen läßt.«
»Ich bin in Sapporo geboren. Aber als ich fünf war, starb meine Mutter, und mein Vater hat mich hierher zu meinem Onkel geschickt. Der Onkel hat im letzten Jahr sein Geschäft verloren, und deswegen bin ich hier.«
»Warum läufst du dann nicht weg und kehrst nach Sapporo zurück?«
»Mein Vater wurde mit einem Fluch belegt und ist im letzten Jahr gestorben. Ich kann nicht weglaufen. Ich wüßte nicht, wohin.«
»Sobald ich meine Schwester finde«, gab ich zurück, »kommst du mit uns. Wir drei laufen gemeinsam weg.«
Da ich wußte, wie schwer Kürbisköpfchen die Schule fiel, erwartete ich, daß sie mein Angebot freudig annähme. Aber sie gab mir überhaupt keine Antwort. Inzwischen waren wir in der Shijo-Avenue angekommen und überquerten sie schweigend. Die Avenue, die an dem Tag, wo Herr Bekku Satsu und mich vom Bahnhof hergebracht hatte, so belebt gewesen war, lag am frühen Morgen menschenleer. Ich entdeckte in der Ferne nur eine Straßenbahn und hier und da ein paar Radfahrer. Als wir die andere Seite erreichten, bogen wir in eine schmale Straße ein, und da blieb Kürbisköpfchen zum erstenmal stehen, seit wir die Okiya verlassen hatten.
»Mein Onkel war ein sehr netter Mann«, sagte sie. »Das letzte, was ich ihn sagen hörte, bevor er mich wegschickte, war: ›Manche Mädchen sind klug, und manche Mädchen sind dumm. Du bist ein nettes Mädchen, aber du gehörst leider zu den dummen. Allein wirst du’s in der Welt zu nichts bringen. Deswegen schicke ich dich an einen Ort, wo die Leute dir sagen werden, was du tun sollst. Tu, was sie dir sagen, dann wirst du dein Leben lang versorgt sein.‹ Wenn du also weglaufen willst, Chiyo-chan, dann lauf nur. Aber ich habe einen Platz gefunden, wo ich mein Leben verbringen kann, und ich werde so hart wie nötig arbeiten, damit sie mich nicht wieder wegschicken. Ich würde mich lieber von einer Klippe stürzen, als mir die Chance zu verderben, eine Geisha wie Hatsumomo zu werden.«
Hier hielt Kürbisköpfchen inne. Sie hatte hinter mir auf dem Erdboden etwas entdeckt. »O du meine Güte, Chiyo-chan!« rief sie. »Läuft dir dabei nicht das Wasser im Mund zusammen?«
Als ich mich umwandte, sah ich den Eingang zu einer anderen Okiya. Auf einem Regalbrett hinter der Tür befand sich ein kleiner Shinto-Schrein mit einem süßen Reiskuchen als Opfergabe. Ich überlegte, ob es das gewesen sein konnte, was Kürbisköpfchen gesehen hatte, aber ihr Blick war eher zu Boden gerichtet. Der Steinpfad, der zur Innentür führte, war mit Farnen und Moosen gesäumt, doch sonst konnte ich nirgends etwas entdecken. Dann plötzlich sprang es mir in die Augen: Vor dem Eingang, unmittelbar am Straßenrand, lag ein Holzspieß mit einem Rest gegrilltem Tintenfisch dran. So, wie sie abends von Straßenverkäufern feilgeboten wurden. Der Duft der süßen Grillsauce war für mich eine Tortur, denn Dienstmädchen wie wir bekamen kaum etwas anderes zu essen als Reis und eingelegtes Gemüse, einmal am Tag eine Suppe und zweimal im Monat eine kleine Portion getrockneten Fisch. Dennoch konnte ich diesen Tintenfischresten auf dem Erdboden nichts abgewinnen. Zwei Fliegen spazierten so lässig darauf herum, als machten sie einen Spaziergang im Park.
Kürbisköpfchen sah aus, als würde sie schnell zunehmen, wenn man nicht aufpaßte. Schon mehrmals hatte ich gehört, wie ihr Magen vor Hunger so laut knurrte, als rollte man eine schwere Tür zurück. Dennoch glaubte ich nicht, daß sie tatsächlich diese Tintenfischreste essen wollte, bis ich sah, wie sie sich vergewisserte, daß niemand kam.
»Kürbisköpfchen«, sagte ich, »wenn du hungrig bist, verflixt noch mal, nimm doch den süßen Reiskuchen vom Regal. An dem Tintenfisch fressen doch schon die Fliegen.«
»Ich bin größer als die«, entgegnete sie.
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