Die Geisha - Memoirs of a Geisha
lesen konnte ich nur sehr wenige der Namen.
Kürbisköpfchen ging zu der Leiste hinüber und zog aus einem flachen Kästchen auf den Matten eine Tafel mit ihrem eigenen Namen, die sie an den ersten leeren Haken hängte. Diese Hakenleiste war nämlich so etwas wie eine Anwesenheitsliste.
Anschließend gingen wir noch in andere Klassenzimmer, wo wir uns auf die gleiche Art für Kürbisköpfchens weitere Unterrichtsstunden eintrugen. An diesem Vormittag waren vier Lektionen vorgesehen: Shamisen, Tanz, Teezeremonie und eine Art von Gesang, den wir nagauta nennen. Kürbisköpfchen hatte so große Angst, in all ihren Unterrichtsfächern die letzte zu sein, daß sie, als wir die Schule verließen, um das Frühstück in der Okiya einzunehmen, den Gürtel ihres Gewandes zusammendrehte. Aber gerade als wir in unsere Schuhe schlüpften, kam ein anderes Mädchen in unserem Alter mit flatternden Haaren durch den Garten gerannt. Nachdem wir sie gesehen hatten, wurde Kürbisköpfchen ein bißchen ruhiger.
Wir aßen eine Schale Suppe und kehrten anschließend so schnell wie möglich in die Schule zurück, damit sich Kürbisköpfchen hinten ins Klassenzimmer knien und ihr Shamisen zusammensetzen konnte. Wenn man noch nie ein Shamisen gesehen hat, findet man das Instrument vermutlich merkwürdig. Manchmal wird es als japanische Gitarre bezeichnet, in Wirklichkeit ist es aber viel kleiner als eine Gitarre und hat einen dünnen Hals aus Holz mit drei Wirbeln am Ende. Der Korpus ist eine kleine Holzkiste, die wie eine Trommel mit Katzenhaut bezogen ist. Das ganze Instrument kann zerlegt und in einem Kasten oder einem Beutel verstaut werden, in dem es getragen wird. Kürbisköpfchen montierte also ihr Shamisen und begann es mit heraushängender Zunge zu stimmen, aber leider muß ich sagen, daß sie ein sehr schlechtes musikalisches Gehör hatte, so daß die Töne hinauf- und hinabschwankten wie ein Boot auf den Wellen, ohne daß sie sich dort niederließen, wo sie hingehörten. Bald hatte sich der ganze Raum mit Mädchen und ihren Shamisens gefüllt, alle säuberlich voneinander getrennt wie Pralinen in der Schachtel. Ich behielt die Tür im Auge, weil ich hoffte, daß Satsu hereinkäme, aber sie kam nicht.
Kurz darauf erschien die Lehrerin, eine winzige alte Frau mit schriller Stimme. Sie hieß Lehrerin Mizumi, und so wurde sie von allen genannt. Aber ihr Name Mizumi klingt ganz ähnlich wie nezumi –»Maus«, deswegen nannten wir sie hinter ihrem Rücken Lehrerin Nezumi – Lehrerin Maus.
Lehrerin Maus kniete vor der Klasse auf einem Kissen und schenkte sich aus einer Kanne auf dem Tisch neben ihr eine Tasse Tee ein. Sie machte nicht den geringsten Versuch, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Und als wir Schülerinnen uns gemeinsam vor ihr verneigten und ihr einen guten Morgen wünschten, trank sie nur einen Schluck Tee und funkelte uns an, ohne ein einziges Wort zu äußern. Schließlich musterte sie die Hakenleiste an der Wand und rief die erste Schülerin auf.
Das erste Mädchen schien eine hohe Meinung von sich zu haben. Sie glitt nach vorn, verneigte sich vor der Lehrerin und begann zu spielen. Nach ein bis zwei Minuten befahl Lehrerin Maus dem Mädchen jedoch aufzuhören und sagte alle möglichen herabsetzenden Dinge über ihr Spiel; dann klappte sie ihren Fächer zusammen und winkte dem Mädchen, sich zu entfernen. Lehrerin Maus trank abermals einen Schluck Tee und musterte die Hakenleiste, um die nächste Schülerin aufzurufen.
So ging es über eine Stunde lang weiter, bis schließlich Kürbisköpfchen aufgerufen wurde. Wie ich merkte, war Kürbisköpfchen sehr nervös, und kaum hatte sie zu spielen begonnen, da schien auch schon alles falsch zu laufen. Zuerst befahl ihr Lehrerin Maus aufzuhören und nahm das Shamisen, um es eigenhändig zu stimmen. Dann versuchte es Kürbisköpfchen abermals, doch die Schülerinnen warfen einander Blicke zu, weil keine wußte, welches Stück Kürbisköpfchen da zu spielen versuchte. Lehrerin Maus schlug krachend auf den Tisch, befahl ihnen, nach vorn zu sehen, und schlug mit ihrem zusammengeklappten Fächer für Kürbisköpfchen den Takt. Als das nichts half, begann Lehrerin Maus statt dessen, den Griff zu korrigieren, mit dem Kürbisköpfchen das Plektrum hielt. Bei dem Versuch, ihr den richtigen Griff beizubringen, hätte sie fast Kürbisköpfchens Finger ausgerenkt. Schließlich gab sie auch diesen Versuch auf und ließ das Plektrum angewidert auf die Matte fallen. Kürbisköpfchen
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