Die Geisha - Memoirs of a Geisha
entschlossen, sie zu finden.
Als ich in die Okiya zurückkehrte, wartete Tantchen schon, um mit mir ins Badehaus weiter unten an der Straße zu gehen. Ich war schon einmal dort gewesen, aber nur mit den älteren Dienerinnen, die mir gewöhnlich ein kleines Handtuch und ein Stückchen Seife reichten, um sich dann auf den Fliesenboden zu setzen und sich zu waschen, während ich mir selbst überlassen blieb. Tantchen war viel freundlicher: Sie kniete sich vor mich und bürstete mir den Rücken. Ich war erstaunt, daß sie überhaupt keine Schamhaftigkeit kannte, sondern ihre schlauchartigen Brüste herumschlenkerte, als wären es Flaschen. Gelegentlich klatschten sie mir sogar auf die Schulter.
Später kehrte sie mit mir in die Okiya zurück und kleidete mich in meinen ersten Seidenkimomo: leuchtendblau mit grünem Gras rings um den Saum und hellgelben Blumen an Ärmeln und Brust. Dann führte sie mich die Treppe hinauf in Hatsumomos Zimmer. Bevor wir hineingingen, warnte sie mich in strengem Ton, Hatsumomo in keiner Weise zu stören oder sonst etwas zu tun, worüber sie sich ärgern müßte. Damals begriff ich es noch nicht, aber inzwischen ist mir natürlich klar, warum sie so beunruhigt war. Denn wenn eine Geisha am Morgen aufwacht, sieht sie aus wie jede andere Frau. Ihr Gesicht ist vielleicht noch fettig vom Schlaf, ihr Atem unangenehm. Gewiß, auch wenn sie nur mühsam die Augen aufschlagen kann, trägt sie ihre wunderschöne Frisur, doch davon abgesehen ist sie wie alle übrigen Frauen und alles andere als eine Geisha. Erst wenn sie vor dem Spiegel sitzt, um mit großer Sorgfalt ihr Make-up aufzulegen, verwandelt sie sich allmählich in eine Geisha. Und ich meine damit nicht nur, daß sie anfängt, wie eine Geisha auszusehen, sie denkt dann auch wie eine.
Im Zimmer wurde ich angewiesen, mich um Armeslänge entfernt neben Hatsumomo und ein Stückchen hinter ihr niederzulassen, weil ich von dort aus ihr Gesicht in dem winzigen Spiegel auf ihrem Schminktisch sehen konnte. Sie kniete auf einem Kissen, trug ein leichtes Baumwollgewand und hielt ein halbes Dutzend verschiedenartige Pinsel in der Hand. Einige waren so breit wie Fächer, während andere aussahen wie Eßstäbchen mit einem feinen Büschel weicher Haare am Ende. Schließlich wandte sie sich um und zeigte sie mir.
»Das sind meine Pinsel«, erklärte sie. »Und erinnerst du dich daran?« Aus der Schublade holte sie einen Glasbehälter mit schneeweißer Schminke und hielt ihn empor, damit ich ihn sehen konnte. »Das ist das Make-up, das du niemals anfassen darfst.«
»Ich habe es niemals angefaßt«, erwiderte ich.
Sie schnupperte ein paarmal an dem geschlossenen Behälter. Dann sagte sie: »Nein, ich glaube, das hast du tatsächlich nicht.« Dann stellte sie den Schminktopf hin und griff nach drei Farbstiften, die sie mir auf der Handfläche zeigte.
»Die nimmt man zum Schattieren. Du darfst sie dir ansehen.«
Ich nahm einen der Stifte in die Hand. Er war etwa so groß wie ein Babyfinger, aber so glatt und hart wie Stein und hinterließ keinerlei Farbspur auf meiner Haut. Das eine Ende war mit dünner Silberfolie umwickelt, die durch den ständigen Gebrauch abzublättern begann.
Hatsumomo ließ sich den Farbstift zurückgeben und zeigte mir etwas, was wie ein Holzzweig aussah, der an einem Ende angekokelt ist.
»Das ist ein schön trockenes Stück Paulownienholz«, sagte sie. »Damit zieht man sich die Augenbrauen nach. Und das hier ist Wachs.« Sie wickelte zwei halbverbrauchte Stangen Wachs aus ihrem Papier und zeigte sie mir.
»Und nun – was meinst du wohl, warum ich dir all diese Dinge zeige?«
»Damit ich lerne, wie man sich schminkt«, antwortete ich.
»Gütiger Himmel, nein! Ich habe sie dir gezeigt, damit du siehst, daß das Ganze nichts mit Magie zu tun hat. Wie bedauerlich für dich! Denn das bedeutet, daß das Make-up allein nicht ausreichen wird, um aus der armen Chiyo eine Schönheit zu machen.«
Hatsumomo wandte sich wieder dem Spiegel zu und sang leise vor sich hin, während sie einen Topf mit einer blaßgelben Creme öffnete. Sie werden mir vielleicht nicht glauben, wenn ich Ihnen sage, daß diese Creme aus Nachtigallenmist hergestellt wird, aber es stimmt. Viele Geishas benutzten sie damals als Gesichtscreme, weil man glaubte, sie sei gut für die Haut, aber sie war so teuer, daß Hatsumomo sich nur ein wenig um Augen und Mund tupfte. Dann riß sie ein kleines Stück Wachs von einer der Stangen, knetete es mit den
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