Die Geisha - Memoirs of a Geisha
so ganz, denn so ein komplizierter Kimono wirkt verwirrend auf Menschen, die nicht daran gewöhnt sind. Aber die Art, wie er getragen wird, ist durchaus verständlich, sobald sie ausreichend erklärt wird.
Zunächst müssen Sie verstehen, daß eine Hausfrau ihren Kimono ganz anders trägt als eine Geisha. Wenn eine Hausfrau einen Kimono anzieht, benutzt sie alle möglichen Polster, damit er sich in der Taille nicht auf unschöne Weise bauscht – mit dem Ergebnis, daß sie so zylindrisch aussieht wie eine Holzsäule in einem Schrein. Eine Geisha dagegen trägt so oft Kimonos, daß sie kaum Polster benutzt und sich der Stoff trotzdem nicht bauscht. Beide, Hausfrau und Geisha, beginnen jedoch damit, daß sie ihre Schminkgewänder ablegen und sich ein wadenlanges Seidentuch um die nackten Hüften wickeln, das wir koshimaki – Hüfttuch – nennen. Darauf folgt ein kurzärmeliges Kimonounterhemd, in der Taille gebunden, und dann die Polster, die wie kleine, konturierte Kissen mit Bändern wirken, die zur Befestigung dienen. Hatsumomo mit ihrer traditionell schmalhüftigen, gertenschlanken Figur und ihrer langjährigen Erfahrung im Tragen von Kimonos brauchte überhaupt keine Polster.
Alles, was die Frau bis dahin angezogen hat, wird vor den Blicken anderer verborgen sein, sobald sie voll angekleidet ist. Das nächste Kleidungsstück jedoch, das Untergewand, gehört im Grund nicht mehr zur Unterkleidung. Wenn eine Geisha einen Tanz aufführt, oder manchmal auch nur, wenn sie auf der Straße geht, kommt es vor, daß sie den Saum ihres Kimonos mit der Linken rafft, damit er nicht im Weg ist. Dann ist das Untergewand natürlich zu sehen. Und deswegen muß es in Stoff und Muster zum Kimono passen. Ja, auch der Kragen eines Untergewandes ist zu sehen, genau wie der Hemdkragen eines Mannes, wenn er einen Anzug trägt. Es gehörte zu Tantchens Pflichten, jeden Tag einen Seidenkragen an das Untergewand zu nähen, das Hatsumomo tragen wollte, und ihn am nächsten Morgen wieder zu entfernen, damit er gewaschen werden konnte. Der Kragen einer Lerngeisha ist rot, da Hatsumomo aber natürlich keine Schülerin mehr war, trug sie einen weißen.
Als Hatsumomo aus ihrem Zimmer kam, trug sie die von mir beschriebenen Kleidungsstücke, obwohl wir nichts als ihr Untergewand sehen konnten, das in der Taille von einer Kordel zusammengehalten wurde. Außerdem trug sie weiße Socken mit abgeteilter großer Zehe, die wir tabi nennen, an einer Seite geknöpft, damit sie eng anliegen. Jetzt war sie bereit, sich von Herrn Bekku ankleiden zu lassen. Hätten Sie ihn arbeiten sehen, hätten Sie sofort verstanden, warum seine Hilfe benötigt wurde. Da Kimonos, egal, wer sie trägt, alle gleich lang sind, muß der überschüssige Stoff – es sei denn, die Frau ist überdurchschnittlich groß– an der Taille unter dem Gürtel gefaltet werden. Wenn Herr Bekku den Kimonostoff in der Taille faltete und mit einer Kordel fixierte, war nicht die kleinste Unebenheit zu sehen. Und wenn vielleicht eine auftauchen sollte, zupfte er hier ein wenig und dort ein wenig, und das Ganze war wieder völlig glatt. Wenn er seine Arbeit beendet hatte, schmiegte sich der Kimono unfehlbar glatt und schön an den Körper.
Herrn Bekkus Hauptaufgabe als Ankleider war es, den Obi zu binden. Ein Obi, wie ihn Hatsumomo trug, ist doppelt so lang, wie ein Mann groß ist, und fast so breit wie die Schultern einer Frau. Um die Taille gewickelt, bedeckt er den Körper vom Brustbein bis unter den Nabel. Die meisten Leute, die sich nicht auf Kimonos verstehen, scheinen zu denken, der Obi würde einfach im Rücken gebunden, als wäre er eine Schnur, aber weit gefehlt. Ein halbes Dutzend Kordeln und Spangen ist nötig, um ihn an Ort und Stelle zu halten, und außerdem ist eine gewisse Anzahl von Polstern vonnöten, um den Knoten zu formen. Herr Bekku brauchte mehrere Minuten, um Hatsumomos Obi zu binden. Als er fertig war, konnte ich nirgendwo ein Fältchen in dem dicken, schweren Stoff entdecken.
An jenem Tag begriff ich nur sehr wenig von dem, was ich auf dem oberen Flur sah, aber ich hatte den Eindruck, daß Herr Bekku in hektischem Tempo Schnüre band und Stoff faltete, während Hatsumomo nichts weiter tat, als die Arme auszubreiten und sich im Spiegel zu betrachten. Wenn ich sie ansah, wurde mir ganz elend vor Neid. Ihr Kimono war aus Brokat in verschiedenen Braun- und Goldtönen. Unterhalb der Taille beschnupperten sich Hirsche mit herbstbraunem Fell, den Waldboden hinter ihnen
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