Die Geisha - Memoirs of a Geisha
bedeckte Herbstlaub in Gold- und Rosttönen. Ihr Obi war pflaumenblau, von Silberfäden durchzogen. Damals wußte ich es noch nicht, aber die ganze Tracht kostete vermutlich soviel, wie ein Polizist oder Ladeninhaber in einem ganzen Jahr verdient. Und dennoch, wenn man Hatsumomo da stehen sah, wie sie sich vor dem hohen Spiegel drehte und wendete, hätte man wahrscheinlich gedacht, daß alles Geld der Welt nicht ausreichte, um eine Frau so schön aussehen zu lassen.
Alles, was jetzt noch fehlte, waren der letzte Schliff an ihrem Make-up und der Haarschmuck. Mit Hatsumomo kehrten Tantchen und ich in ihr Zimmer zurück, wo sie sich vor ihren Schminktisch kniete und eine winzige Lackschachtel herausnahm, die Lippenrot enthielt. Mit einem dünnen Pinsel trug sie es auf. Zu jener Zeit war es gerade Mode, die Oberlippe ungeschminkt zu lassen, weil dadurch die Unterlippe voller wirkte. Weiße Schminke bewirkt allerlei seltsame Illusionen: Wenn eine Geisha ihre Lippen ganz ausmalte, sähe ihr Mund schließlich aus wie zwei dicke Scheiben Thunfisch. Deswegen schminken sich die meisten Geishas lieber einen Schmollmund, der an eine Veilchenblüte erinnert. Wenn die Geisha nicht von Natur aus einen Schmollmund hat – und das trifft auf die wenigsten zu –, schminkt sie sich ihren Mund fast immer etwas runder. Aber wie ich schon sagte, zu jener Zeit war es Mode, nur die Unterlippe zu schminken, und genau das tat Hatsumomo.
Nun griff Hatsumomo zu dem Paulownienzweig, den sie mir anfangs gezeigt hatte, und setzte ihn mit einem Streichholz in Brand. Nachdem er ein paar Sekunden gebrannt hatte, blies sie ihn aus, kühlte ihn mit den Fingerspitzen und kehrte dann zum Spiegel zurück, um sich mit der Holzkohle die Augenbrauen nachzuziehen. Es entstand ein wirklich bezaubernd weicher Grauton. Anschließend ging sie zu einem Wandschrank und wählte den Schmuck für ihre Frisur, darunter eine Spange aus Schildpatt sowie eine lange Nadel mit einem ausgefallenen Perlenarrangement. Nachdem sie sich diese Schmuckstücke ins Haar gesteckt hatte, tupfte sie sich ein wenig Parfüm in den Nacken. Das flache Holzfläschchen schob sie für den Fall, daß sie es später noch brauchte, in ihren Obi. Weiterhin steckte sie einen gefalteten Fächer in ihren Obi sowie ein Taschentuch in ihren rechten Ärmel. Dann wandte sie sich um und sah mich an. Sie zeigte das gleiche angedeutete Lächeln, das sie zuvor schon zur Schau getragen hatte, und sogar Tantchen seufzte glücklich auf, weil Hatsumomo so wunderbar aussah.
6. KAPITEL
Was immer wir von Hatsumomo hielten – in unserer Okiya war sie die Kaiserin, weil sie das Geld verdiente, von dem wir alle lebten. Und als Kaiserin wäre sie äußerst ungehalten gewesen, wenn sie mitten in der Nacht heimkehrte und ihren Palast unbeleuchtet und ihre Dienerinnen schlafend vorfand. Das heißt, wenn sie bei ihrer Heimkehr zu betrunken war, um sich die Socken aufzuknöpfen, mußte ihr jemand diese Aufgabe abnehmen, und wenn sie Hunger hatte, dachte sie gar nicht daran, in die Küche zu gehen und sich selbst etwas zuzubereiten – etwa ein umeboshi ochazuke, ihren Lieblingssnack aus übriggebliebenem Reis und sauer eingelegten Pflaumen in heißem Tee. Darin glich unsere Okiya allen anderen. Die Pflicht aufzubleiben, um die Geisha zu Hause zu erwarten und zu bedienen, fiel so gut wie immer der jüngsten der »Kokons« zu, wie die Geishaschülerinnen oft genannt wurden. Und von dem Augenblick an, da ich mit dem Schulunterricht begann, war ich die jüngste Kokon in unserer Okiya. Lange vor Mitternacht schliefen Kürbisköpfchen und die beiden älteren Dienerinnen tief und fest auf ihren Futons, die nur einen Meter entfernt auf dem Holzboden der Eingangshalle ausgerollt waren, aber ich mußte ewig dort knien und mit dem Schlaf kämpfen, manchmal sogar bis zwei Uhr morgens. Großmama, deren Zimmer ganz in der Nähe lag, schlief bei Licht, mit spaltbreit geöffneter Schiebetür. Der Lichtstrahl, der auf meinen leeren Futon fiel, erinnerte mich an einen Tag, kurz bevor Satsu und ich aus unserem Dorf geholt wurden. Damals hatte ich einen kurzen Blick ins Hinterzimmer unseres Hauses geworfen, in dem meine Mutter schlief. Damit das Zimmer im Dunkeln lag, hatte mein Vater Fischernetze vor die Papierfenster gehängt, doch weil das so furchtbar düster wirkte, beschloß ich, eins der Fenster zu öffnen. Als ich das tat, fiel ein heller Sonnenstrahl auf den Futon meiner Mutter und hob ihre bleiche, knochige Hand aus dem
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