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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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meine Gedanken lesen zu können.
    »Du hast versucht davonzulaufen – stimmt’s?«
    »Ja, Herrin«, räumte ich ein. »Ich hatte eine Schwester. Wir waren getrennt worden, doch es gelang uns, wieder zusammenzukommen. An einem bestimmten Abend wollten wir uns treffen, um gemeinsam zu fliehen… aber dann bin ich vom Dach gefallen und habe mir den Arm gebrochen.«
    »Vom Dach! Das muß ein Scherz sein! Bist du etwa da hinaufgestiegen, um einen letzten Blick auf Kyoto zu werfen?«
    Ich erkärte ihr, warum ich es getan hatte. »Das war dumm von mir, das weiß ich jetzt«, sagte ich anschließend. »Nun wird Mutter keinen weiteren Sen mehr in meine Ausbildung stecken, denn sie fürchtet, ich könnte jederzeit wieder weglaufen.«
    »Da muß mehr dahinterstecken. Ein Mädchen, das davonläuft, ist dem Ruf der Herrin ihrer Okiya abträglich. So denken die Leute hier in Gion nun mal. ›Meine Güte, sie kann nicht mal ihre eigenen Dienstmädchen am Weglaufen hindern!‹ So ähnlich. Aber was soll denn nun aus dir werden, Chiyo? Du scheinst mir nicht der Mensch zu sein, der sein Leben als Dienerin verbringen will.«
    »Ach, Herrin… Alles würde ich geben, um meine Fehler wiedergutzumachen«, sagte ich. »Es ist nun über zwei Jahre her. Ich habe wirklich geduldig gewartet und immer gehofft, daß sich mir eines Tages eine Chance bietet.«
    »Geduldiges Warten paßt nicht zu dir. Wie ich sehe, besteht deine Persönlichkeit zum Großteil aus Wasser, und Wasser wartet nicht. Es verändert seine Form, fließt um Hindernisse herum und findet die geheimen Pfade, an die sonst niemand denkt: das winzige Loch im Dach oder im Boden einer Kiste. Es ist ganz zweifellos das wandlungsfähigste der fünf Elemente. Es kann Erde davonspülen, es kann Feuer löschen, es kann Metall abschleifen und mit sich davontragen. Und sogar das Holz, seine natürliche Ergänzung, kann nicht überleben, ohne vom Wasser genährt zu werden. Dennoch hast du in deinem Leben niemals auf diese Stärken zurückgegriffen – oder?«
    »Also, ehrlich gesagt, war es fließendes Wasser, das mir zu der Idee verholfen hat, über das Dach zu fliehen.«
    »Ich bin sicher, daß du ein kluges Mädchen bist, Chiyo, aber das war, glaube ich, nun wirklich nicht deine klügste Tat. Wir alle, die wir vom Wasser bestimmt werden, fließen niemals dorthin, wohin wir wollen. Wir können nur dahin fließen, wohin die Landschaft unseres Lebens uns trägt.«
    »Ich habe das Gefühl, daß ich ein Fluß bin, der auf einen hohen Damm gestoßen ist, und dieser Damm ist Hatsumomo.«
    »Ja, da hast du vermutlich recht«, sagte sie, während sie mich gelassen ansah. »Aber es gibt auch Flüsse, die Dämme davonspülen.«
    Seit dem Moment, da ich ihre Wohnung betrat, hatte ich mich immer wieder gefragt, warum Mameha mich zu sich bestellt hatte. Daß es nichts mit dem Kimono zu tun hatte, war mir schon klar; aber jetzt erst erkannte ich, was ich die ganze Zeit direkt vor der Nase gehabt hatte: Mameha mußte beschlossen haben, mich zu benutzen, um sich an Hatsumomo zu rächen. Es lag auf der Hand, daß die beiden Rivalinnen waren. Warum sonst hätte Hatsumomo vor zwei Jahren Mamehas Kimono ruinieren sollen? Mameha hatte zweifellos auf den richtigen Moment gewartet, und der schien sich ihr jetzt zu bieten. Sie wollte mich in die Rolle des Unkrauts drängen, das wuchert, bis es die anderen Pflanzen im Garten erstickt. Sie wollte nicht nur einfach Rache – wenn ich mich nicht täuschte, wollte sie Hatsumomo ein für allemal loswerden.
    »Auf jeden Fall«, fuhr Mameha fort, »wird sich nichts ändern, solange Frau Nitta dir nicht erlaubt, mit deiner Ausbildung fortzufahren.«
    »Ich glaube kaum«, entgegnete ich, »daß ich sie dazu überreden könnte.«
    »Wie du sie überreden kannst, darüber brauchst du dir jetzt noch keine Gedanken machen; überleg dir lieber, wie du den richtigen Zeitpunkt dafür findest.«
    Das Leben hatte mir bisher wahrhaftig eine Menge Lektionen erteilt, doch von Geduld verstand ich überhaupt nichts, nicht mal genug, um zu begreifen, was Mameha mit dem richtigen Zeitpunkt meinte. Ich sagte, wenn sie mir vorschlagen könne, was ich sagen solle, würde ich mit Vergnügen schon morgen mit Mutter sprechen.
    »Weißt du, Chiyo, im Leben einfach so dahinzustolpern ist eine mühselige Art der Fortbewegung. Du mußt lernen, die richtige Zeit und den richtigen Ort für alles zu finden. Eine Maus, welche die Katze an der Nase herumführen will, kommt nicht einfach aus ihrem

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