Die Geisha - Memoirs of a Geisha
einem dieser Tage mit Mutter zu sprechen, und was genau ich zu ihr sagen sollte.
»Ich beabsichtige nicht, dich selbst mit Frau Nitta sprechen zu lassen«, antwortete sie mir. »Sie wird dich im Handumdrehen abfertigen. Das würde ich auch tun, wenn ich an ihrer Stelle wäre! Soweit sie weiß, gibt es in Gion niemanden, der bereit wäre, deine ältere Schwester zu sein.«
Es tat sehr weh, das zu hören. »Wenn das so ist, Mameha-san, was soll ich tun?«
»Du solltest in deine Okiya zurückkehren, Chiyo«, sagte sie. »Und erwähne kein Wort davon, daß du mit mir gesprochen hast.«
Dann warf sie mir einen Blick zu, der bedeutete, ich solle mich auf der Stelle verneigen und mich verabschieden, was ich auch tat. Dabei war ich so verwirrt, daß ich die Kabuki-Zeitschriften und Shamisen-Saiten, die Mameha mir gegeben hatte, auf dem Tisch liegenließ. Die Dienerin mußte mir bis auf die Straße damit nachlaufen.
11. KAPITEL
Nun sollte ich wohl erklären, was Mameha mit dieser »älteren Schwester« meinte. Bitte bedenken Sie aber, daß ich selbst zu jener Zeit so gut wie gar nichts darüber wußte. Es geht um folgendes: Sobald ein junges Mädchen schließlich bereit ist, ihr Debüt als Lerngeisha zu geben, braucht sie die Verbindung mit einer älteren, erfahrenen Geisha. Mameha hatte Hatsumomos ältere Schwester erwähnt, die große Tomihatsu, die schon eine alte Frau gewesen war, als sie Hatsumomo ausbildete. Aber ältere Schwestern müssen nicht unbedingt sehr viel älter sein als die Geisha, die sie ausbilden. Jede Geisha kann ältere Schwester eines jüngeren Mädchens werden, solange sie nur einen Tag älter ist als die andere.
Wenn die beiden Mädchen einander als Schwestern verbunden werden, vollziehen sie ein Ritual, das einer Trauung ähnelt. Und später betrachten sie einander fast wie Mitglieder ein und derselben Familie und nennen sich genau wie richtige Familienmitglieder »ältere Schwester« und »jüngere Schwester«. Manche Geishas mögen diese Rolle nicht so ernst nehmen, wie sie sollten, doch eine ältere Schwester, die ihre Pflichten angemessen erfüllt, wird praktisch zum wichtigsten Menschen im Leben der jungen Geisha. Dabei tut sie sehr viel mehr, als ihrer jüngeren Schwester die richtige Mischung von Verlegenheit und Gelächter beizubringen, wenn ein Mann einen derben Witz erzählt, oder ihr bei der Auswahl des richtigen Wachses für die Make-up-Unterlage zu helfen. Sie muß außerdem dafür sorgen, daß ihre jüngere Schwester die Aufmerksamkeit von Personen erregt, die sie kennenlernen sollte. Das tut sie, indem sie sie in Gion herumführt und sie den Herrinnen aller entsprechenden Teehäuser vorstellt, dem Mann, der die Perücken für Bühnenauftritte anfertigt, den Köchen aller wichtigen Restaurants und so weiter.
Das alles kostet natürlich große Mühe. Aber die jüngere Schwester tagsüber in Gion herumzuführen ist nur ein Teil der Pflichten einer älteren Schwester. Denn Gion gleicht einem matten Stern, der sich erst in voller Pracht zeigt, nachdem die Sonne untergegangen ist. Wenn sie am Abend zur Arbeit geht, muß die ältere Schwester die jüngere mitnehmen und sie all ihren Kunden und Gästen vorstellen, die sie im Laufe der Jahre kennengelernt hat. »Oh, Herr So-und-so, haben Sie schon meine neue jüngere Schwester kennengelernt?« wird sie dann sagen. »Bitte, merken Sie sich ihren Namen, denn sie wird ein ganz großer Star werden! Und bitte gestatten Sie ihr, Sie aufzusuchen, wenn Sie das nächstemal in Gion sind.«
Natürlich bezahlen nur wenige Männer sehr viel Geld, um einen Abend lang mit einer Vierzehnjährigen zu plaudern, weswegen dieser Kunde das junge Mädchen bei seinem nächsten Besuch wohl nicht zu sich rufen wird. Aber die ältere Schwester und auch die Herrin des Teehauses werden sie ihm so lange anpreisen, bis er es schließlich doch tut. Wenn sich herausstellt, daß er sie aus irgendeinem Grund nicht mag… nun, das ist etwas anderes; ansonsten aber wird er eines Tages ihr Kunde sein und sie allmählich so ins Herz schließen wie ihre ältere Schwester.
Die Aufgaben einer älteren Schwester zu übernehmen ist häufig so, als schleppe man einen Sack voll Reis kreuz und quer durch die Stadt. Denn eine jüngere Schwester ist auf ihre ältere Schwester angewiesen wie ein Passagier auf den Zug, in dem er sitzt, und wenn sich das Mädchen danebenbenimmt, ist es ihre ältere Schwester, die dafür verantwortlich gemacht wird. Der Grund dafür, daß eine
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