Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
nicht gewusst, was in der Stadt los war. Deine Mutter hat so ein Gefühl gehabt, so eine Vorahnung. Nun, sie sagt, es sei ein Zeichen von jemandem gewesen, der sie vor dem Bösen beschützt. Sie hat deinem Vater ein Telegramm geschickt und viele Male ihre Entscheidung verflucht, in der Finca in Caldes kein Telefon installiert zu haben. Den ganzen Donnerstag hat sie damit verbracht, Leute, die aus Barcelona zurückkamen, auszufragen. Am Abend hat sie dann beschlossen, am nächsten Morgen noch vor der Dämmerung aufzubrechen. Sie hat alles vorbereitet, um mit der Postkutsche nach Mataró zu fahren und dort den Zug nach Barcelona zu nehmen. Aber das war gar nicht mehr nötig: Morgens in der Früh traf Julián mit der traurigen Nachricht ein. Auf der ganzen Strecke nach Barcelona hat deine Mutter noch Hoffnung gehabt, Don Rodolfo lebendig zu sehen. Zuerst sind sie zum Convento de las Jerónimas gefahren, aber dort fanden sie nur noch die Überreste eines gewaltigen Feuers vor. Zu Hause angekommen, hat sie sich in die Bibliothek eingeschlossen und strikt geweigert, irgendjemanden zu sehen. Wir haben sie fast die ganze Zeit nur weinen gehört. Wir haben nicht verstanden, was los ist und warum sie in den Krankenhäusern nicht nach ihm gesucht hat.«
»Hat jemand Padre Eudaldo benachrichtigt?«
»Er war den ganzen Vormittag hier und hat mit ihr gesprochen, aber er ist sehr verärgert wieder gegangen und sagte, gegen eine solch offensichtliche Ketzerei könne er nichts ausrichten.«
»Ketzerei? Ich kann mir schon vorstellen, was er damit gemeint hat.«
»Deine Mutter ist davon überzeugt, dass ein Geist aus dem Jenseits sich um ihr Wohl kümmert. Nicht irgendein Geist, sondern jemand, der ihr vor seinem Tod versprochen hat, mit ihr in Verbindung zu treten.«
»Ich verstehe«, erwiderte Amadeo, nun genauso erzürnt wie Padre Eudaldo. »Und darf man mal erfahren, wer dieser Schutzengel sein soll?«
»Er heißt Francisco Canals Ambrós. Er ist vor einiger Zeit gestorben, ich glaube, vor zehn Jahren. Aber er hatte allen Grund, deiner Mutter dankbar zu sein.«
Amadeo warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Dank deiner Mutter hat sein Leichnam eine neue Grabstelle erhalten. Von einem sehr unbequemen Grab in der sechsten Reihe in einer Grabwand zu einer tieferen. So liegt er viel bequemer.«
»Ach, die Toten machen sich neuerdings schon Sorgen darum, ob ihre Gräber auch bequem sind?«
»In dem Fall geht es nicht um Vorteile für den Toten, sondern für seine Anhänger. Der Junge war zu Lebzeiten schon ein Wundertäter, aber seit seinem Tod haben sich seine Wunder vervielfacht. Man sagt, alles worum man ihn bittet, wird einem erfüllt.«
»Was sind das für Wunder?«
»Alle möglichen. Er hat viele Anhänger. Sein Grab ist immer voller Opfergaben und Geschenke. Du solltest es dir einmal ansehen. Aber bis deine Mutter und Don Octavio nicht seine Umbettung veranlasst haben, konnten ihn die armen Gläubigen nicht gebührend verehren.«
»Kann ich mal erfahren, woher du das alles weißt?«
»Meine Güte! Ich habe ihn doch selbst gekannt! Er ist ein sehr merkwürdiger junger Mann gewesen. Er ist ganz plötzlich gestorben, und niemand weiß, warum. Der Arme war doch so bescheiden, er hat sonst kaum etwas gesagt. Ich war auch an dem Tag auf dem Friedhof, an dem seine Gebeine umgebettet wurden. So eine Schande, ihn so mitgenommen zu sehen, den Ärmsten!«
»Jetzt reicht es aber, Conchita! Das ist doch absoluter Unsinn!«, brüllte Amadeo, der nun die Geduld verlor. »Ich will nur wissen, wie es meiner Mutter geht!«
Concha riss sich zusammen. Sie warf einen Blick auf den Stapel Briefe, der sich auf dem Schreibtisch türmte.
»Sie wollte nichts essen, hat sich nur in der Bibliothek eingeschlossen und lauter Kerzen angezündet. Sie sagt, dass sie Abschied nehmen müsste.«
Den letzten Satz brachte Concha nur noch unter Schluchzen hervor. Nun versuchte Amadeo, sie zu trösten.
»Mach dir keine Sorgen, Conchita. Alles wird wieder ins Lot kommen. Wir werden dafür sorgen, dass meine Mutter die Bibliothek verlässt, und ich werde für meinen Vater eine Trauerfeier abhalten lassen.«
»Aber wir wissen doch nicht einmal, was aus seinen sterblichen Resten geworden ist.«
»Ich werde mich darum kümmern, mach dir keine Sorgen.«
Concha seufzte erleichtert. In dem Moment kehrte wieder ein wenig Röte auf ihre Wangen zurück. Es gab einen neuen Hausherrn, nun war kein weiteres Abdriften mehr zu befürchten. Endlich hatte das Schiff
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