Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
ich den Eindruck, dass sie die wahre Herrin im Hause Lax ist.«
Concha errötete. Ihre privilegierte Situation war schon allein durch die Tatsache belegt, dass sie als Einzige der Hausangestellten am Traugottesdienst teilnehmen durfte.
Als sie bei dem letzten Mitglied des Personals angekommen war, beugte sich Teresa vor, zeigte ein bezauberndes Lächeln, das ihre beiden perfekten Zahnreihen freigab, und ließ zum ersten Mal ihre Stimme hören: »Wer ist denn dieses hübsche Mädchen?«
Das Kind versteckte sich hinter Vicentas Röcken.
»Das ist Eulalia, Señora«, sagte Julián, während er das Mädchen am Arm packte und es nötigte, sich Doña Teresa zu zeigen.
»Aber wir nennen sie Laia, das ist Katalanisch. Julián fällt das Spanische ein wenig schwer«, rechtfertigte sich Vicenta.
»Laia ist ein wunderschöner Name«, bemerkte Teresa. »Wir haben etwas für dich, nicht wahr, Conchita?« Die Kinderfrau übergab dem Mädchen ein kleines Tüllsäckchen. »Das ist für dich. Magst du Zuckermandeln?«
Laia streckte mit gesenktem Kopf eine Hand zum Gruß aus, dann betrachtete sie die neue Hausherrin von Kopf bis Fuß.
»Küss der Señora die Hand«, befahl ihr die Mutter.
Das Mädchen war noch mehr eingeschüchtert.
»Gehorch«, herrschte Julián sie barsch an.
Von dem Fahrer vorgestoßen, trat Laia einen Schritt vor. Mit der einen Hand umklammerte sie fest die Zuckermandeln, die sie soeben erhalten hatte. Teresa zog einen Satinhandschuh aus. Hastig, als müsse sie eine bittere Pille hinunterschlucken, platzierte Laia einen Kuss auf dem Handrücken der neuen, jungen Señora.
»Gutes Mädchen«, lobte Maria del Roser. »Und jetzt ruhen sich alle aus. Morgen werden wir noch genug Zeit haben, uns besser kennenzulernen. Außerdem warten wir noch auf die neue Kammerfrau. Wie heißt Sie noch mal, mein Liebes?«
»Antonia«, antwortete Teresa.
»Genau, Antonia. Sie wird auch für Bügel- und Näharbeiten zuständig sein. Morgen werden wir ihr einen Platz freimachen. Und jetzt, ganz egal ob auf Katalanisch oder auf Spanisch: Ab ins Bett!«
Amadeo ging wortlos an den Hausangestellten vorüber.
»Señora, wann sollen wir morgen das Frühstück reichen?«
Maria del Roser Golorons tat so, als habe sie nicht gehört, und ging weiter die Treppe hinauf. Amadeo folgte ihr, so entrückt wie seine Mutter, auch wenn dies bei ihm nichts Neues war. Teresa blieb stehen, zögerte und sah zu Vicenta, die die Frage gestellt hatte.
Die neue Hausherrin wirkte ein wenig bleich, aber das kam allen Anwesenden kurz vor der Hochzeitsnacht nur normal vor.
»Zur üblichen Zeit wird es recht sein«, antwortete Teresa.
Und ging wie die anderen hinauf.
Sobald die Zimmertüren die Geräusche der Ankunft der Herrschaften verschluckten, vertiefte sich das Personal zwischen Tuscheln und Kichern in die Beurteilung der neuen Señora Lax.
»Was für ein hübsches Kleid!«
»Aber sie ist ein bisschen naiv, oder?«
»Ja, schon, aber sie ist wunderschön.«
»Vielleicht ist sie ein wenig zu jung für ihn?«
»Wie alt ist sie denn? Dreiundzwanzig?«
»Nein, sie ist erst einundzwanzig.«
»Herr im Himmel!«
»Sie wird keine gute Hausherrin sein.«
»Und, was meint ihr? Vollziehen die beiden heute Nacht ihre Ehe?«
Nur Laia und Concha sagten kein Wort. Erstere hatte die Zuckermandeln aus dem Tüll genommen und legte sie ordentlich in einer Reihe auf dem Küchentisch auf. Die Zweite war es satt, Lästermäuler reden zu hören, und verzog sich brummend auf ihr Zimmer: »Die Arme ist doch gerade erst angekommen. Lasst sie doch erst etwas Erfahrung sammeln.«
Concha verbrachte eine üble Nacht. Sie schob das auf ein Dutzend mit Bacalao gefüllte Buñuelos, und die Erinnerung daran wurde im Verlauf der Nacht immer widerlicher. Weit nach Mitternacht hörte sie Schritte die Treppen hinunterkommen. Draußen wartete ein Auto, aber der Motor klang nicht wie bei einem der Wagen des Hauses. Concha spitzte die Ohren. Unter Kichern verkündete eine Stimme, die Diskretion nicht gewohnt war: »Mein Täuberich, ich habe das Rasiermesser mitgebracht!«
Concha schüttelte mehrere Male den Kopf. Sie spürte, wie eine eklige Welle aus ihrem Magen hochstieg und stand eiligst auf. Sie kam gerade noch rechtzeitig zum Waschgeschirr, um eine dickflüssige Masse mit einem eher maritimen Gestank in die Schüssel zu spucken.
Von: Violeta Lax
Gesendet am: 2. April 2010
An: Valérie Rahal
Betreff: Rätsel
Liebe Mama,
hier bin ich wieder, mit einem Haufen
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