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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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nicht, dass ich übertreibe, wenn ich die Hütte als ein »Sanktuarium« bezeichne. Auf einmal standen wir mitten im Atelier eines Malers. Es sah ein bisschen irreal aus, aber nur, weil alles so aufgeräumt war: Die Pinsel lagen in verschiedenen Kästen, die Staffeleien standen zusammengeklappt hintereinander, das ganze Material war sorgfältig geordnet. Wenn es nicht so muffig gerochen hätte und nicht alles so verstaubt gewesen wäre, hätte man denken können, dass dort jemand erwartet wird. An der Wand war etwas mit einem Laken zugedeckt. Als wir es abdeckten, konnten wir darunter viele Leinwände erkennen: einunddreißig, um genau zu sein. Sie lehnten aufgereiht, der Größe nach geordnet, an der Wand, und waren peinlich genau mit Zeitungspapier voneinander getrennt.
»Anscheinend hat meine Mutter alles aufgeräumt. Sie hat wohl auch die Bilder abgedeckt. Um sie zu schützen oder weil sie sie nicht sehen wollte, keine Ahnung.«
Dann haben sie mir eines gezeigt. Das erste Bild. Es war ein weiblicher Akt. Ich erkannte sofort den Stil. Die Pinselführung, die Details, die Umrisse … und noch bevor ich mir die Signatur ansah, kamen mir Dutzende Fragen.
Du hast es erraten, nicht wahr? Die Bilder sind von Großvater. Sie sind echt. Und das Motiv ist immer ein weiblicher Akt.
»Meine Mutter war das Modell gewesen«, erklärte Fiorella. »Wenn du sie betrachtest, verstehst du, warum sie die Bilder verstecken wollte.«
»Was ist das hier?«, fragte ich und zeigte auf die Hütte.
»Dein Großvater hat hier während seiner Zeit in Italien gearbeitet«, erklärte Fiorella.
Ich kam aus dem Staunen nicht heraus.
»Aber … mir ist nicht bekannt, dass Amadeo Lax hier gewesen ist. Kein Biograph hat jemals darüber geschrieben.«
»Der Beweis liegt vor deinen Augen« – Fiorella zeigte bei ihren Worten auf die Malerutensilien um uns herum –, »Biographen können sich irren.«
»Violeta, nimm dir alle Zeit der Welt«, mischte sich Silvana ein. »Ich habe dir ja gesagt, dass du so lange bei uns bleiben kannst, wie du magst. Vielleicht möchtest du die Bilder genauer untersuchen, um sicherzugehen, dass sie wirklich echt sind.«
Ich nickte, aber eher, um Zeit zu gewinnen. Mir schossen viele Gedanken durch den Kopf. Ehrlich, bezüglich der Echtheit der Bilder hatte ich überhaupt keinen Zweifel. Es war einfach zu offensichtlich. Wenn du sie selbst siehst, verstehst du sofort, was ich meine.
Nur um deine Neugierde anzustacheln: Es sind einunddreißig Aktgemälde, einunddreißig!!! Das ist doch unglaublich, oder?
Eines davon entspricht Il falso ricordo , aber diese Version ist gelungener ausgeführt. Ich will damit sagen, dass mir das uns bekannte Bild wie eine plumpe Kopie von diesem Bild vorkommt, das zweifellos die erste Fassung des Motivs ist. Außerdem beweisen das auch die Jahresangaben. Wie du dir vorstellen kannst, sind alle Bilder minutiös mit Datum und Titel versehen, wie immer bei Amadeo Lax.
Ich habe in den letzten beiden Tagen eines nach dem anderen genauer angesehen und ein Verzeichnis angelegt. Ich denke, das wird das Kuratorium vom Museu Nacional d’Art de Catalunya interessieren. Ich schicke dir das Verzeichnis, damit du es an diejenigen weiterleitest, die in der Angelegenheit mitzureden haben. Wenn du es für angemessen hältst, kannst du gerne, sobald alles abgeschlossen ist, die ganze Sache an die Presse geben. Silvana und Fiorella sind damit einverstanden. Und wenn du jetzt die Bedingungen liest, die die Verstorbene für ihr Vermächtnis gestellt hat, wirst du vor Begeisterung kreischen (und es am liebsten laut herausposaunen): Sie vermacht zwar die einunddreißig Gemälde dem MNAC, aber unter drei Bedingungen.
Sie müssen zusammen mit dem übrigen Werk von Amadeo Lax ausgestellt werden und zwar in einem gesonderten Bereich eines hochrangigen Museums. Die Verstorbene hat deutlich ausgeführt, dass diese Gemälde keinesfalls zusammen mit Bildern von anderen Künstlern gezeigt werden dürfen, und auch nicht weitab von den wichtigsten Kunstsammlungen.
Ich soll für das Museumsprojekt, das ihre Sammlung aufnimmt, verantwortlich sein.
Alles soll binnen einer Frist von drei Jahren ab ihrem Todestag umgesetzt werden. Wenn die Generalitat von Katalonien im Verlauf dieses Zeitraums nichts unternimmt, gelangen die Werke automatisch in die Bestände des Prado nach Madrid. Ach ja, damit sie auf der sicheren Seite ist, hat sie zudem mich zur Testamentsvollstreckerin ernannt.
Das klingt doch alles wie ein Traum,

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