Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
oder?
Wie ein Traum oder wie ein Scherz, ich weiß. Also, schließlich und endlich ist das genau das, wofür du die ganze Zeit gekämpft hast, Arcadio! Genau das, was Großvater immer gewollt hat.
Ich komme nun zum Schluss. Ich denke, dieser Ort hier hilft mir sehr dabei, all die Neuigkeiten der letzten Tage zu verarbeiten. Ich war so durcheinander, dass ich nicht einmal die offensichtlichsten Schlüsse gezogen habe.
Nachdem ich mir einige Stunden lang die Bilder genauer angesehen hatte, sagte ich am Abend zu Silvana: »Kein Wunder, dass mein Großvater beschlossen hat, eine Zeit lang hier als Gast deiner Großmutter zu leben. Ich hätte auch Lust, hier zu bleiben. Wie du siehst, wiederholt sich die Geschichte.«
Silvana sah mich ungläubig an.
»Als Gast? Aber nein, Violeta! Es ist alles noch viel komplizierter. Eulalia war seine große Liebe. Amadeo Lax ist auch mein Großvater.«
Verzeichnis einunddreißig bislang unbekannter Werke von Amadeo Lax
Vermächtnis von Doña Eulalia Montull Serrano an das Kuratorium des Museu Nacional d’Art de Catalunya (MNAC)
Dr. Violeta Lax, Kunsthistorikerin mit Spezialgebiet
katalanischer Modernisme und Novecentisme,
Kuratorin am Art Institute of Chicago
Nesso, Comer See, 20. März 2010
Allgemeine Beschreibung der Sammlung
Die einunddreißig Ölgemälde sind der reifen Phase des Malers Amadeo Lax (Barcelona, 1889–1974) zuzuordnen. Sie sind alle zwischen 1936 und 1940 datiert. Beinahe die Hälfte (14 Werke) entstand 1936, die übrigen verteilen sich über die folgenden Jahre bis hin zu drei letzten Gemälden aus dem Jahr 1940. Alle haben als Motiv einen weiblichen Akt. Bei achtundzwanzig der Bilder ist es immer dasselbe Modell, die drei übrigen Gemälde zeigen anatomische Details, womit keine persönliche Zuordnung möglich ist.
Alle Werke sind von Amadeo Lax persönlich signiert und datiert, und zudem, wie bei dem Künstler üblich, auf der Rückseite mit einem Titel versehen. Die Keilrahmen entsprechen denen, die der Künstler üblicherweise benutzt hat, und weisen auch die gleichen sorgfältigen Merkmale der Bespannung der Leinwand auf: Dieser Umstand spricht dafür, die Werke als authentisch zu bewerten.
Die Bilder wurden von mir nummeriert, dabei habe ich der Reihenfolge Rechnung getragen, in der sie im italienischen Atelier des Künstlers an der Wand lehnten. Dieses Ordnungssystem folgt offensichtlich dem Format der Werke, wobei sich das größte direkt an der Wand befand.
Besonderheiten
Der unbestrittene künstlerische Wert der Arbeiten steigt noch durch die Tatsache, dass die Gemälde ein Motiv zeigen, das im Werk von Amadeo Lax bislang praktisch unbekannt war. Von einer Ausnahme abgesehen – Il falso ricordo , ein Ölgemälde aus dem Jahr 1962, das später Heinrich Thyssen erwarb und das derzeit zur Dauerausstellung des Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid gehört –, vermied der Maler weibliche Akte als Motiv, das er nach eigenen Worten verabscheute.
Der Gesamtwert dieser Sammlung beläuft sich auf schätzungsweise fünfzehn Millionen Euro.
Beschreibung der Werke (Auszug)
Nr. 1:
Kälte , 1939, 200 × 170 cm, Öl auf Leinwand
Das größte Bild der Sammlung zeigt ein Intérieur. Die linke Hälfte der Szenerie wird von einer weiblichen Figur beherrscht. Es handelt sich um eine junge, schöne Frau, die nackt in einem Armsessel sitzt, der von einer weißen Decke bedeckt wird: Ihre Hände hat sie nach rechts zu einem Kaminfeuer ausgestreckt, ihr Kopf ist dem Betrachter zugewandt, und eine wallende schwarze Mähne fällt über ihren Rücken. Ihr lebendiger Blick sowie ihr ernsthafter Gesichtsausdruck ziehen die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Auf der rechten Seite sind das lodernde Kaminfeuer, ein Teil eines Spiegels sowie die Blätter einer Pflanze zu erkennen.
Nr. 11:
Wenn die Wände reden würden , 1936, 170 × 140 cm, Öl auf Leinwand
Das Modell liegt auf einem Diwan neben einem Fenster, durch das die Landschaft des Comer Sees zu erkennen ist. Sein Haar ist zusammengefasst, und es trägt ein bäuerliches Gewand, dessen Rock über die Hüfte hochgerafft ist und den Blick auf die Beine in weißen Strümpfen und auf das dichte Schamhaar freigibt. Die ohnmächtige Haltung der Figur, ihre schlaffen Arme, ihre gespreizten Beine sowie die nackten Füße betonen die enorme erotische Kraft des Gemäldes. Bezeichnenderweise stellt die Scham des Modells das geometrische Zentrum der gesamten Komposition dar. Sowohl das Thema wie auch seine Ausarbeitung
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