Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
»Haben Sie schon gehört, dass die Söhne von Eusebio Güell wahre Helden sind?«
Dann gab er die Geschichte zum Besten, die derzeit in aller Munde war und bei der die beiden Söhne des überaus bekannten Industriellen eine wichtige Rolle spielten.
»Der Vorfall hat sich diese Woche in der Fabrik in Santa Coloma de Cervelló ereignet. Ein vierzehnjähriger Arbeiter ist in einen dieser Färberbottiche gefallen. Dabei haben ihm die Säuren beide Beine verätzt, und die Ärzte der Colònia Güell meinten, sie könnten eine Amputation nur mit einer Hauttransplantation verhindern. Aber dafür benötigten sie zwanzig Freiwillige, von denen jeder ein Stück Haut von zwanzig Zentimetern Länge und sieben Zentimetern Breite spenden müsste. Der erste Freiwillige war der Pfarrer der Siedlung, ein gütiger Mann mit Namen Covarrubias. Und als zweiter und dritter haben sich sogleich Santiago und Claudio Güell gemeldet. Und die beiden haben nicht geheuchelt, denn am nächsten Tag waren sie die Ersten, denen das Stück Haut entfernt wurde.«
»Genau das brauchen wir! Aristokratische Helden!«, frohlockte Bürgermeister Domènec Sanllehy i Alrich, vor Freude sprühend. »Wenn Josep Llimona eine Skulptur der beiden anfertigt, verspreche ich, sie auf der Plaza de Catalunya aufzustellen!«
»Das stünde dem neuen Platz wahrhaft besser zu Gesicht als diese lächerlichen Zwergpalmen, die sie uns da gepflanzt haben, Don Domingo«, mischte sich Salvador de Samà ein, der Marqués, der nicht nur ein reicher Mann, Senator sowie ehemaliger Abgeordneter und Bürgermeister war, sondern erneut für das Bürgermeisteramt kandidierte. »Aber Sie müssen die Künstler kontrollieren, sonst stellen sie die beiden tapferen jungen Männer noch nackt dar, und man kann die Statuen nicht öffentlich platzieren!«
Salvador de Samà war es tatsächlich gelungen, Rodolfo zu brüskieren. Man könnte fast behaupten, dass der ewige Wettstreit zwischen den beiden Männern und die Erinnerung an die jeweiligen Siege deren Lebensinhalt war. Dem starrsinnigen Lax saß der Stachel seines Gegners besonders tief im Fleisch; dabei war es um ein bergiges, abgelegenes Gelände gegangen, das Samà zu einem exorbitanten Preis an Eusebio Güell verkauft hatte, damit dessen Schützling, dieser Gaudí, der einfach nicht in der Lage war, gerade Linien zu ziehen, für diese Grundstücke seine neuesten Phantasiebauten entwarf.
»Überlassen Sie das nur Don Salvador«, scherzte Rodolfo, »der stellt bestimmt noch die Plaza Catalunya mit Obelisken voll!«
Die Gastgerberin wandte sich indes Octavio Conde zu. Dieser junge Mann war in der Tat der einzige Gast, der sich damit brüsten konnte, mit Amadeo Lax befreundet zu sein. Er war auch der einzige Mensch, zu dem der Erstgeborene der Lax’ sporadischen Kontakt hatte. Maria del Roser zog ihn beiseite:
»Bitte, Octavio, könntest du Amadeo schreiben und fragen, ob er bald zurückkommen kann? Wir sehen ihn ungern so abgeschieden von der Welt und seinen Verpflichtungen. Früher oder später wird er das, was ihm zusteht, antreten müssen, und in dieser Stadt bezahlt man teuer, wenn man sich zu lange nicht blicken lässt.«
»Selbstverständlich, Doña Maria del Roser, ich frage ihn gerne danach. Aber ich muss Sie warnen, Ihr Sohn wird nicht auf mich hören. Weder auf mich noch auf sonst jemandem, denn er folgt nur seinem eigenen Willen.«
»Ich habe gelesen, dass man euch neuerdings vorwirft, Anhänger von Alejandro Lerroux zu sein«, warf Don Rodolfo ein, der sich stets weitaus mehr für die Themen interessierte, über die die Zeitungen schrieben, als für die Vorgänge in seinem eigenen Haus.
»Ach hören Sie mir doch auf! Mein Vater ist wegen des ganzen Katalanismus völlig durcheinander, aber er sagt, dass er deswegen noch lange kein Katalanisch lernen will! Ich habe ihm nur gesagt, dass es gar nicht so weit kommen muss, schließlich ist Katalanisch ein Dialekt, der dem Ohr schmeichelt. Und anscheinend kann man damit nicht nur Ochsen verkaufen, wie es heutzutage die vielen Dichter und Stückeschreiber beweisen, die überall aus dem Boden schießen. Aber mein Vater ist nach wie vor davon überzeugt, dass man, wenn man in Barcelona den Titel ›Bürger‹ verdienen will, immer gegen eine Sache oder eine Person sein muss. Sie wissen ja, er ist einfach ein Sturkopf.«
Maria del Roser lächelte wohlwollend bei den Worten des Sohnes ihres Freundes und Gefährten. Gerade in diesen Tagen hatte Don Eduardo Conde der
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