Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
Edelsteinen besetzte goldene Statue ans Tageslicht zogen, die natürlich am Stück und hervorragend erhalten war.
Fast alles, mit dem ich bei meiner Arbeit bisher in Berührung gekommen war – mit der bemerkenswerten Ausnahme eines kleinen Dolches –, war in Bruchstücken auf meinem Tisch gelandet, mit Erde verkrustet und stumpf und abgenutzt vom Alter.
Die Rosehill-Ausgrabung bildete dabei keine Ausnahme. Jeder neue Tag brachte weitere Tierknochen, Topfscherben und zerbrochene Metallgerätschaften. Und jedes einzelne Stückchen, jedes Fragment, egal, wie unwichtig und nebensächlich es erscheinen mochte, mußte gesäubert, eingeordnet und mit einer Identifikationsnummer versehen werden.
Ich haßte es, die Fundstücke mit Nummern zu beschriften. Meine Hände waren dabei nie ganz ruhig, so daß die Zahlen immer schief gerieten, und überhaupt fand ich diese Arbeit nervtötend langweilig. Es war oft schon schwierig genug, eine kleine Stelle auf einem Artefakt zu finden, auf der man eine Zahl sichtbar anbringen konnte, ohne daß sie sofort ins Auge stach. Dann, nachdem ich eine dünne Schicht durchsichtigen Nagellacks auf die Stelle aufgetragen hatte, um die Oberfläche zu versiegeln, mußte ich mit einem altmodischen Federhalter und – je nach Farbe des Fundstücks – weißer oder schwarzer Tinte sorgfältig die Nummer in winzigen Ziffern auf die lackierte Stelle auftragen und die Prozedur mit einer zweiten schützenden Nagellackschicht abschließen.
Diese umständliche Vorgehensweise hatte ihren Sinn, wie ich zugeben mußte. Durch die versiegelnden Lackschichten konnten die Ziffern leicht wieder entfernt werden, ohne daß das Artefakt beschädigt wurde, und da meine Schreibkunst erheblich zu wünschen übrig ließ, neigte ich dazu, genauso viele Zahlen wieder zu entfernen, wie ich aufgetragen hatte.
Anschließend mußte die Nummer natürlich in das Fundstückeregister eingetragen werden, zusammen mit den jeweiligen Informationen über das Stück selbst – wo und wann es gefunden wurde und in welchem Zustand, seine Maße und jedes noch so kleinste Detail, das beim Begutachten auffiel. Bei früheren Gelegenheiten hatte ich solche Eintragungen immer per Hand vorgenommen und die einzelnen Blätter in einer Reihe von Ringordnern aufbewahrt. Aber hier auf Rosehill existierte das Fundstückeregister natürlich als Computerdatei mit einheitlichem Format und vorgegebenen Eingabezeilen. Auf diese Weise blieben Reihenfolge und Anordnung gleich, egal, ob ich oder eine meiner Assistentinnen die Eingaben vornahmen, was sehr viel praktischer und ordentlicher war als meine alte Methode.
Das hielt mich allerdings nicht davon ab, hin und wieder handschriftliche Notizen und Skizzen von den Artefakten in mein altmodisches Notizbuch einzutragen, und von Zeit zu Zeit bat ich Fabia, Fotos zur Dokumentation zu machen.
Und jeden Abend, während die Studenten ihre Mahlzeit in dem großen Verpflegungszelt einnahmen, trug ich die Fundstücke des Tages hinunter nach Rose Cottage, um sie Robbie zum »Lesen« vorzulegen.
An diesem Abend hatte ich beschlossen, unser Spiel ohne sein Wissen ein wenig abzuwandeln. Ich setzte mich an den inzwischen so vertraut gewordenen Küchentisch, umgeben vom Duft der Plätzchen im Ofen und den schlafenden Collie zu meinen Füßen, und beobachtete Robbie mit besonderer Spannung, als er die Stücke eines nach dem anderen befühlte. Es war nicht ganz fair, ihn heimlich auf die Probe zu stellen, aber seine Fähigkeiten faszinierten mich und weckten ständig neue Fragen. Mir war klar, daß bestimmte Stücke zu ihm »sprachen«, ihm einen Eindruck von ihrer früheren Form und Verwendung und von den Menschen, denen sie gehört hatten, vermittelten. Aber sagten sie ihm auch etwas über die Zeit, die historische Periode?
Robbie war schließlich noch ein kleiner Junge und hatte folglich das Zeitgefühl eines kleinen Jungen. Er wußte, daß der Wächter Römer war und daß die Römer vor langer Zeit gelebt hatten, aber das hatten in den Augen eines Kindes auch Napoleon oder Churchill. In Robbies Alter waren chronologische Abläufe für mich verwirrend gewesen – mein Vater hatte mehrere Tage gebraucht, um mir zu erklären, warum Kleopatra und Königin Elizabeth I. nie zusammen hatten Tee trinken können.
Doch bei dieser Ausgrabung war der historische Zeitraum ungeheuer wichtig. Die Festung, die wir ausgruben, stammte aus dem späten ersten Jahrhundert, aber was wir wirklich zu finden hofften, nämlich einen
Weitere Kostenlose Bücher