Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
zuflüsterten. Nicht in der Dämmerung, der bald die Dunkelheit folgen würde.
»Danke«, sagte ich, »das wäre wirklich eine große Hilfe.«
»Laß mich das tragen, Opa«, sagte Robbie und griff geschwind nach der Kiste. Aber als er von seinem Stuhl kletterte, hielt Jeannie ihn zurück.
»Du, junger Mann«, sagte sie unnachgiebig, »nimmst jetzt ein Bad, und dann ab ins Bett. Sag Miss Grey gute Nacht.«
Das trotzige Kinn schoß wieder nach vorn, aber Robbie wußte, daß es zwecklos war zu widersprechen. Er gab Wally die Scherben und kam dann zu mir geschlurft, um mich zu umarmen. Als er seine Arme wieder löste, sah er mich dabei hoffnungsvoll an. »Bin ich auch eine große Hilfe für Sie?«
»Eine sehr große Hilfe.«
Und ich meinte es ernst.
Dennoch wünschte ich, als ich mit Wally in der warmen, fast drückenden Abendluft den Hügel hinaufging, daß Robbie mir nicht immer alles sagen würde.
»Schlecht geträumt letzte Nacht?« Fabia hielt sich die Kamera vors Auge und nahm die vor ihr liegende Reihe von Topfscherben aus einem neuen Winkel auf.
Ich sah ein wenig zerstreut von meinem Schreibtisch auf. »Nein, warum?«
»Du hast das Licht angelassen.«
»Ach so.« Sie hat es natürlich bemerkt, dachte ich. Fabia kam dieser Tage immer als letzte nach Hause. Ihr Flirt mit Brian hatte sich offenbar etwas abgekühlt, und ich hätte darauf wetten können, daß es sich bei ihrer neuen Liebschaft um einen der Studenten handelte, wenn nicht David mit scharfem Auge über das Zeltlager gewacht hätte. Er war nicht so weit gegangen, eine offizielle Schlafenszeit festzulegen, aber nach ein oder zwei Zwischenfällen gleich zu Anfang hatte er deutlich gemacht, daß es jeder, der am Morgen nicht einsatzfähig war, mit ihm zu tun bekommen würde. Da anscheinend niemand dieses Risiko eingehen wollte, waren die Studenten meist noch vor Mitternacht aus den Pubs zurück und begaben sich unverzüglich in ihre Schlafsäcke. Falls Fabia also von einem jungen Mann abends so lange aufgehalten wurde, konnte man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß es keiner aus unserem Team war.
Jedenfalls schienen ihr die langen Nächte nichts anhaben zu können. Sie sah besonders hübsch aus an diesem Morgen, die Augen leuchteten vor Lebenslust und jugendlicher Frische, und ihre Bewegungen waren flink und geschmeidig. Ich fühlte mich furchtbar farblos neben ihr.
»Also, ich wollte das Licht gar nicht anlassen«, log ich. »Ich habe gelesen, weißt du, und …«
»Was hat Peter gesagt, wohin ich als nächstes gehen soll?« unterbrach sie mich. Sie hatte bereits wieder das Interesse verloren und schraubte die Kappe auf die Linse.
Ich versuchte mich an Quinnells genaue Anweisungen beim Frühstück zu erinnern. »Ich glaube, er sagte, sie wollten heute einen neuen Graben an der Stelle, wo die principia sein müßten, ausheben, und er möchte, daß du ein Foto machst, ehe sie die Grasnarbe und die oberste Erdschicht abtragen.«
Fabia runzelte die Stirn. »Aber wir sind doch in den Principia.«
»Nein, er meint die echten.« Als sie mich immer noch verständnislos ansah, starrte ich ungläubig zurück. »Erzähl mir bloß nicht, du hast als Peter Quinnells Enkelin nie den Grundriß einer römischen Festungsanlage kennengelernt?«
»Na ja, also …«
»Oh, Fabia!«
»Ich hab’s dir doch schon erklärt. Mein Vater haßte dieses ganze Zeug, und Peter geht einfach davon aus, daß ich Bescheid weiß.«
»Dann komm um Himmels willen hierher, damit ich ihn dir aufzeichnen und erklären kann«, sagte ich. Ich zog irgendeinen unwichtigen Brief aus dem Stapel auf meinem Schreibtisch und drehte die unbeschriftete Seite nach oben. »Also, eine durchschnittliche Festungsanlage sah etwa so aus – siehst du? Ein Rechteck mit abgerundeten Ecken, ungefähr wie eine Spielkarte. Außen ein Graben, manchmal sogar ein doppelreihiger Graben, und dann die Wälle mit einem Wachturm an jeder Ecke. So …« Ich nahm meinen Bleistift und zeichnete ein Viereck genau in die Mitte. »Die principia , die Gebäude des Hauptquartiers, befanden sich hier. Und direkt davor verlief die via principalis , die Straße, die die beiden Seitentore der Festung miteinander verband.« Ich zeichnete die Tore zur Verdeutlichung ebenfalls ein. »Vom Haupttor führte ebenfalls eine Straße zum Hauptquartier, die via praetoria . Und vom Hauptquartier zum hinteren Tor verlief die via decumana . Und hier«, erläuterte ich und zeichnete ein neues Viereck links neben den
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