Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
ähnlich sehen würde. Dann wurde mir erst bewußt, was ich da gerade gedacht hatte, und ich spürte, wie mir wieder die Röte ins Gesicht stieg.
»Wink meiner Mutter zu«, sagte David und hob die Hand zur gegenüberliegenden Ecke des Platzes, wo die Fenster von Saltgreens den blauen Himmel widerspiegelten.
»Wo ist sie denn?« fragte ich. »Ich kann sie nicht sehen.«
»Ich auch nicht. Aber sie ist bestimmt irgendwo da oben. Das Schauspiel läßt sie sich bestimmt nicht entgehen.«
Lächelnd winkte ich den vielen Fenstern zu, dann fragte ich David: »Aber wenn die Kinderwettspiele bei Gunsgreen stattfinden sollen, was machen wir dann hier?«
»Wir warten auf die Pfeifer.«
Ich strahlte. »Etwa Dudelsackpfeifer?«
»Du magst sie wohl, was?« Er lachte über meine Reaktion. »Na, du wirst nicht mehr lange warten müssen. Sie kommen um zwölf Uhr und führen die Kinder mit Musik am Wasser entlang auf die andere Seite des Hafens.«
»Eine Dudelsackkapelle«, wiederholte ich voller Begeisterung. »Können wir auch mitgehen?«
»Klar. Du kannst auch bei den Wettkämpfen mitmachen und alles. Und wenn du ein ganz braves Mädchen bist«, versprach er, »kaufe ich dir hinterher ein Eis.« Er nahm meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen, und sein sanftes Lächeln wärmte mir das Herz.
Unbeschreiblich glücklich reckte ich den Kopf den Dudelsackklängen entgegen, die die Ankunft der Kapelle ankündigten.
So von allen Pflichten entbunden, ohne Sorgen und ohne Geister in meiner Nähe, fühlte ich mich an diesem strahlend sonnigen Tag jünger als Robbie. Ich war kaum zu halten vor guter Laune, als wir den Pfeifern hinunter zum Hafen folgten und über den Mittelpier zu der ebenen Rasenfläche spazierten, die sich vom Gunsgreen-Haus bis zum Wasser erstreckte.
Überall wimmelte es vor Menschen. Die Menge ebbte und flutete um uns herum wie ein bunter Gezeitenstrom. David hielt immer noch meine Hand und führte mich geschickt durch den Strom hindurch zu einer Stelle, wo wir stehenbleiben und den Wettspielen zusehen konnten. Zwischendurch trat eine Highland-Tanzgruppe auf, die mit ihren wirbelnden Schottenröcken und der Musik, die allen in die Beine ging, noch zusätzlich für Stimmung sorgte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal soviel Spaß gehabt hatte.
David schien sich ebenfalls gut zu amüsieren, auch wenn er mit kritischem Blick Robbies Mittagessen beäugte, das die Stadt gratis an die Kinder austeilte. »Wir bekamen damals nur durchgeweichte Fleischpastete und alten Apfelkuchen«, beschwerte er sich. »Diese Bälger werden heutzutage viel zu sehr verwöhnt.«
Ich merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging. Als die ersten Fischkutter durch die Hafeneinfahrt pflügten, mußte ich auf meine Uhr sehen, um mich davon zu überzeugen, daß es tatsächlich schon Nachmittag war.
David nahm Robbie an seine andere Hand, und wir drei ließen uns mit der Menge treiben und sahen zu, wie die Heringskönigin auf der kleinen roten Brücke am Ende des Mittelpiers abgesetzt wurde. Sie war ein hübsches Mädchen mit frischem Gesicht und blonden Haaren, und ihr Kleid, obgleich es ebenfalls violett war, stellte eine deutliche Verbesserung gegenüber Jeannies dar.
Robbie ließ die Krönungszeremonie mit ihren langweiligen Reden eine Zeitlang ungeduldig über sich ergehen, bis er David schließlich am Ärmel zupfte. »Davy, Dad hält nach mir Ausschau.«
»Ja? Und wo ist dein Dad gerade?«
»Irgendwo da drüben.« Robbie deutete über den Hafen in Richtung der Fischauktionshalle.
»Gut, dann gehen wir jetzt und suchen ihn.« David sah mich entschuldigend an. »Du kannst ja hier warten, wenn du möchtest, ich bin gleich wieder da.«
»Nein, schon gut«, antwortete ich, »ich komme mit.«
Brian McMorran, der ruhig im Schatten der Fischauktionshalle wartete, schien nicht besonders intensiv nach seinem Sohn zu suchen, aber wenn Vater und Sohn beide das zweite Gesicht hatten, überlegte ich, war es wahrscheinlich ganz leicht, sich auch in großen Menschenmengen zu finden.
»Hey, Dad!« rief Robbie und hüpfte auf ihn zu. »Hast du die Heringskönigin gesehen?«
»Na klar.«
»War Mum auch so hübsch, als sie Heringskönigin war?«
»Deine Mutter war die hübscheste Heringskönigin aller Zeiten«, sagte Brian im Brustton der Überzeugung. Er lehnte sich mit einer Schulter an einen Pfosten und sah von David zu mir. »Ihr habt also gut auf meinen Jungen aufgepaßt, ihr zwei?«
»Verity brauchst du
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