Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
McMorran vorstellen.«
Für so einen kleinen, mageren Jungen hatte er schon einen festen Händedruck. »Sie sieht überhaupt nicht aus, wie du gesagt hast«, meinte er vorwurfsvoll zu David.
Der ging nicht auf die Bemerkung ein, sondern zog einen Stuhl mit gerader Lehne für mich heran und setzte sich selbst auf Robbies Bettkante. »Robbie, Miss Grey möchte gern wissen, welche Rolle du dabei gespielt hast, Mister Quinnell hierher nach Rosehill zu bringen.«
»Ich war das gar nicht«, antwortete der Junge. »Es war Granny Nan. Sie hat Mister Quinnell nämlich geschrieben.«
»Ach so. Und was hat sie ihm geschrieben?«
»Daß ich den Wächter gesehen habe.«
Ich unterbrach ihn mit einem leichten Stirnrunzeln. »Den Wächter?«
»Genau.« Robbie nickte. »Oben auf dem Hügel. Kip hat ihn zuerst entdeckt. Und dann hat Granny Nan mir das Buch mit den Bildern drin gezeigt …«
»Granny Nan ist meine Mutter«, warf David als Erklärung für mich ein. »Alle hier in der Gegend nennen sie nur Granny Nan.«
»… sie hat mir das Buch gezeigt, und da war ein Bild von ihm drin, und sie ist ganz aufgeregt geworden und hat Mister Quinnell geschrieben. Sie hat mich das Bild behalten lassen.« Robbie rollte sich auf den Bauch und streckte die Hand nach dem unteren Fach seines Nachttischs aus. Ich hörte das Rascheln von Papier. Dann rollte er sich wieder zurück, ein buntes Blatt mit ausgefransten Rändern in der Hand. »Ich weiß ja, daß man keine Bilder aus Büchern rausreißen darf, aber Granny Nan hat gesagt, daß die meisten Seiten sowieso schon fehlten, und die anderen waren alle so ausgefranst wie die hier, deshalb war es okay.« Er drückte mir die zerknitterte Seite in die Hand.
Ich beugte meinen Kopf darüber und glättete sie vorsichtig. »Und das ist der Mann, den du gesehen hast? Hier auf Rosehill?«
»Ja. Sein Name steht da, und er sieht genauso aus. Er geht auf dem Hügel hin und her, genau dort drüben.« Er zeigte auf die andere Seite des Zimmers, in die Richtung von Rosehill House.
»Aha.«
Schliemann hatte seinen Homer, dachte ich und begriff nun endlich, was Quinnell damit gemeint hatte, als er sagte, er habe Robbie. Ich begriff auch, warum David Fortune gesagt hatte, daß Quinnell in jedem Fall hier graben werde, egal, was die Untersuchungen ergeben würden. Wenn ich ein weniger skeptischer Mensch gewesen wäre, hätte ich vielleicht auch mit einer Ausgrabung begonnen.
Ich strich noch einmal langsam über das zerknitterte Bild und las dabei die gedruckte Unterschrift:
»D ER W ÄCHTER AUF SEINEM P OSTEN« – E IN RÖMISCHER L EGIONÄR, FRÜHES ZWEITES J AHRHUNDERT N. C HR.
V
Adrian brach einen Weißdornzweig von der Hecke am Straßenrand ab und rollte ihn geistesabwesend zwischen seinen Fingern hin und her. »Der Mann hat eben nicht alle Tassen im Schrank, Darling. Das hast du doch sicher bemerkt?«
»Ach, und dann ist es in Ordnung, jemanden anzulügen? Bloß weil er sich Illusionen hingibt?«
»Lügen«, sagte Adrian, »ist ein sehr relativer Begriff.« Er hatte sich an dem Zweig gestochen, und ein Blutstropfen quoll aus seinem Finger. Er warf den Zweig weg und trat schnell hinter mich, als ein Auto an uns vorbeizischte. »Halt doch mal an, ja? Wir sind weit genug weg vom Haus, niemand wird uns hören.«
Ich blieb an einer schattigen Stelle stehen, wo die Straße einen kleinen Fluß überquerte, bevor sie sich in Kurven den Hügel hinunterwand. Sie wurde hier statt von Hecken und Zäunen von niedrigen Steinmauern begrenzt, die Unvorsichtige davor bewahren sollten, in das schnell strömende Gewässer hinabzustürzen. Auf jeder Seite erhoben sich dürre Bäume mit geisterhaft heller Rinde in den Himmel, deren nackte Äste hier und da erstes Grün zeigten. Sie verzweigten sich wild in alle Richtungen und verdeckten den Blick auf Rosehill House.
Adrian lehnte sich gegen die niedrige Steinmauer. »Es war noch nicht einmal meine Idee«, verteidigte er sich, »sondern Fabias. Sie fand, es wäre nett, den alten Knaben ein wenig zu ermutigen.«
Ich sah ihn eisig und ohne jedes Verständnis an. »Hast du schon mal etwas von ethischen Grundsätzen gehört?«
»Ich weiß nicht, warum du so verärgert bist.«
»Ich bin nicht verärgert, ich bin stinkwütend. Du bist schließlich ein Fachmann, ein verdammter Profi. Fachleute fälschen ihre Daten nicht.«
»Vielleicht doch, wenn sie für Quinnell arbeiten. Es erspart viel Mühe, weil er sowieso in dem Feld herumbuddeln wird, egal, was die
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