Die Geisterseherin (German Edition)
die du selbst nicht berechnen kannst!“ Sie presste ihren Finger auf seine Brust und knurrte ihn wütend an. „Dabei bist du nicht einmal ein Forscher, du bist ein Witz!“ Es gab einen lauten Knall, als Mikoto die zweite Ohrfeige an diesem Tag einfing, die sie dieses Mal ganze zwei Schritte zurück taumeln ließ.
Doch bei dieser Ohrfeige starrte sie nicht erstaunt ihren Vater an, sie wetterte einfach weiter, den Schlag ignorierend, mit zornigem Gesichtsausdruck und glühend rotem Handabdruck auf der Backe. „Schlag du mich nur, und beweise damit, dass du keine Argumente mehr gegen die Geister und meine Fähigkeiten hast! Weißt du was? Ich verrate dir jetzt etwas, du vernunftbetriebener Vollspacko!“ Etwas in ihr wusste, dass sie die Situation nicht verbessern würde, wenn sie ihren Vater so beschimpfte... aber es gab einfach Situationen, da wurde dieses kleine Stück Vernunft übergangen. Sie war eigentlich nicht der Typ, der solche Worte ständig in den Mund nahm, aber sie fand in ihrer Wut einfach keine anderen Ausdrücke...
„Ich hatte heute keine ausgefallenen Stunden und damit auch keine Zeit dieses dumme Curry zuzubereiten! Du glaubst mir nicht? Ruf doch Yuki oder Steve an... Verdammt, ruf halt meine Klassenlehrerin an! Die werden dir alle bestätigen können, dass ich gar keine Zeit gehabt hatte, um so ein Gericht kochen zu können!“
Wütend fegte sie einige Teller vom Tisch. Es klirrte laut, als sie auf den Tatami-Matten zerschellten.
„Hüte deine Zunge, Fräulein!“
„Du kannst mich mal, ich bin noch nicht fertig mit dir! Öffne endlich deine gottverdammten Augen! Du bist doch Traumforscher, du müsstest es doch langsam mal gecheckt haben! Auf dieser Welt gibt es nun einmal mehr, als wir im Moment erforscht haben!“
Erneut deutete sie auf den Geist ihrer Mutter.
„Verdammt... deine heißgeliebte Frau steht direkt neben dir! Du musst doch nur die Augen öffnen, um sie zu sehen!“
Für einen kleinen Moment zögerte ihr Vater. Der Gedanke daran, dass der Geist seiner toten Frau wirklich neben ihm stehen könnte, ließ ihn für einen Moment erstarren, auch wenn er nicht daran glaubte, denn natürlich wusste er, dass dies nicht so sein konnte. Er sah ja die tote Opernsängerin nicht, so wie Mikoto sie sah. Für ihn war sie eine Erinnerung... und nicht mehr.
„Verdammt, Mutter! Du kochst hier, du putzt hier... Mach doch mal irgendetwas vor den Augen deines gottverdammten Gatten!“ Ihr Zorn richtete sich jetzt gegen ihre Mutter, welche die ganze Zeit reglos neben ihrem Mann gestanden hatte – ohne ein Wort zu sagen oder sonst etwas zu tun.
„Tut mir leid... Mikoto. Aber... was sollte ich tun?“
Traurig schüttelte sie den Kopf.
„Dein Vater ist Wissenschaftler... er würde für alles, was ich tue, eine Erklärung finden.“
„Verdammt, koch einfach... schwinge den Besen vor seinen Augen, was ist daran so schwer!? Selbst er kann keinen Besen erklären, der von Zauberhand geführt durch die Luft fliegt!“
„Er... würde es nicht sehen... weil er es nicht sehen will. Glaube mir, meine Tochter... seitdem du mich befreit hast, die gesamte Woche seit deinem Urlaub habe ich versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen... aber... aber...“
Dicke Tränen liefen plötzlich Oyuki's Wangen hinab, die sie hilflos versuchte, mit dem Ärmel ihres Gewandes weg zu wischen. Sie konnte diese und ihr leises Schluchzen allerdings nicht verbergen und zum ersten Mal in ihrem Leben begriff Mikoto, was es für ihre Mutter eigentlich bedeutete, tot zu sein. Für Mikoto waren Geister einfach nur Geister gewesen, sie hatte stets nur daran gedacht, dass diese es wohl bedauerte Tod zu sein, aber nie die Qualen gesehen, die einige von ihnen erleiden mussten.
Sie sah nie, wie schlimm es für einen liebenden Gatten war, der seine Frau zwar noch sehen, aber nicht mit ihr interagieren konnte. Dabei hatte sie die ganze Woche über Oyuki vor der Nase gehabt... und trotzdem nicht einmal erkannt, was es für sie bedeutete... nicht mehr Teil des Lebens ihres Mannes zu sein, obwohl sie nur einen Meter neben ihm stand. In dem Moment tat Mikoto Leid, ihre Mutter angeschrien zu haben. Sie hatte diese verzweifelten Kontakt-Versuche nie bemerkt, sie hatte immer nur darüber gemotzt, dass ihre Mutter so wenig Zeit mit IHR verbracht hatte... an die Beziehung ihrer Mutter zu ihrem Vater hatte sie nie auch nur einen Gedanken verschwendet. Vielleicht waren all diese Kochversuche auch Teil des Versuches, ihren Mann auf sich aufmerksam zu
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