Die Geisterseherin (German Edition)
Schreck zuckte er zusammen und ließ beinahe den Jeansrock fallen.
„Du bist aber schreckhaft, Yuki.“
„Äh... hahaha.“
Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf, während ihn Sayuri verwundert musterte.
„Was hast du denn da? Ein Jeansrock...? Ich hab zwar nichts gegen Jeansröcke, aber der ist mir wirklich zu kurz. Guck doch mal, der hört ja schon über dem Knie auf! Aber nett, dass du auch nach etwas für mich schaust... früher hätte der mir sogar gefallen.“
Sayuri nahm ihm das Kleidungsstück aus der Hand und warf es achtlos über einen der Ständer, wie sie es auch mit den OneShoulderTop getan hatte. Sie war ein „Segen“ für die Verkäuferinnen, die hier arbeiteten, dachte Yuki bei sich.
„Hier, schau mal, Yuki. Was meinst du als Mann dazu... ist das okay?“ Sie hielt ein Oberteil an sich und schaute Yuki mit fragenden Augen an.
„Öhem...“
Es war definitiv etwas ganz anderes, als sie sonst trug. Das war der erste Gedanke, der ihm zu dem Oberteil kam. Ein mehrfarbiges TShirt, dass so raffiniert geschnitten war, dass es aussah, als würde sie ein weißes T-Shirt unter einem rosafarbenen Neckholder-Top tragen. Der Kragen sah aus, wie ein Halstuch und auf dem T-Shirt prangte in schönster, geschwungener Schrift das Wort „Girl“ über einigen Ranken in Weiß.
Es war kein hässliches Top, im Gegenteil. Es stand ihr sogar sehr gut
– aber es passte trotzdem nicht zu ihr. Nicht zu der Sayuri, die er kannte. Es war einfach zu bieder für sie...
„Das passt nicht zu dir... aber abgesehen davon steht es dir schon.“, antwortete er darum wahrheitsgemäß.
„Na was jetzt? Passt es oder nicht?“
„Du siehst gut darin aus, aber es wirkt halt... nicht wie du. Wenn du das an hast, dann siehst du aus, wie... eine andere Person. Wie ein ganz normales junges Mädchen halt...“
„Ich BIN ein normales junges Mädchen, im Gegensatz zu dir.“ „Autsch...“
Yuki schüttelte den Kopf.
„Nimm es halt. Ich meine nur, dass du komisch aussiehst, wenn du von der Gothic-Lolita zum braven Every-Day-Girl mutierst. Das bist... einfach nicht du. Und ich finde, dass jeder Mensch sein sollte, wie er sich fühlt. Egal, wie das aussieht.“
Er versuchte Sayuri erfolglos seinen Gedankengang zu erklären, aber es schien so, als hätte sich seine Cousine schon lange für das Top entschieden. Außerdem war sie noch nie für diese Art Erklärung empfänglich gewesen.
„Okay, okay... nimm es. Es steht dir gut.“, sagte er schließlich, seufzend die Diskussion aufgebend.
„Genau das wollte ich hören.“
Pfeifend verschwand Sayuri wieder hinter einigen Kleiderständern und wühlte sich weiter durch die Klamottenberge.
„Wie schön, dass wenigstens noch ein Teil von dir da ist... auch wenn es mir anders herum lieber gewesen wäre.“
Eine Sayuri, die noch ihre alte Kleidung trägt, aber ruhig, nicht aufbrausend und vor allem nie sarkastisch war, wäre ein Traum... aber es wäre auch nicht Sayuri, sondern nur eine Person mit ihrem Aussehen. Als hätte jemand ihren Körper übernommen... Yuki schaute seiner Cousine einen Moment bei ihrer Suche zu, dann fischte er den Jeansrock vom Ständer herunter, hielt ihn noch einmal an sich und nickte schließlich zufrieden, bevor er ihn ebenfalls in den Beutel steckte.
„Eine Jacke wäre noch toll, wenn es im Herbst kälter wird. So etwas habe ich ja gar nicht...“
Immerhin war es zum Herbst nicht mehr weit. Im Gegenteil... es konnte gut sein, dass es nächste Woche bereits anfing abzukühlen und er hatte keine Lust dieses Jahr wieder immer die gleiche Jacke anzuhaben, zumal es dann schwer wurde seine Mutter zu täuschen, wenn er als Megumi auch „seine“ Jacke an hatte.
Ein paar Mal sich drehend, ließ er seinen Blick über den Ladeninhalt schweifen, bis er einen einzelnen Ständer mit Jacken fand. Mehr gab es jetzt im Sommer wohl nicht. Noch einen kurzen Blick auf Sayuri werfend, die gerade eine weitere Hose an sich hielt, lief er zu dem Ständer und wühlte sich durch die Ausverkaufs-Jacken. Die meisten davon gefielen ihm ganz und gar nicht. Oder sie waren – trotz des großen roten Rabatt-Schilds – für ihn viel zu teuer. Schließlich fischte er eine kurze dunkelgraue Jacke hervor, die ihm bis zur Hüfte ging. Sie erinnerte ihn ein wenig an die rote Lederjacke von dem Geist, von dem Mikoto ihm mal erzählt hatte. Dieser eine, der wohl die ganze Zeit über diesen Makoto aus seiner Klasse verfolgt hatte. Er schlüpfte kurz in die Jacke hinein, um zu sehen, ob sie ihm passte,
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