Die Geisterseherin (German Edition)
gehen, wenn der Junge zuhört?“
Es kam keine Reaktion von der Herrin der Zeit, aber das hatte Hatsumomo erwartet.
„Sag mir, werte Zeitenschützerin, wieso lässt du die Zeit zu Grunde gehen, wenn du doch ihr Wächter bist? Wieso hast du dafür gesorgt, dass die Herrin des Todes ihren, in dieser Welt so wichtigen Job, noch immer nicht richtig ausführen kann? Wieso interessierst du dich, als Herrin der Zeit, für das Reich der Toten?“
Dieses Mal reagierte Q'nqüra, ihr Schwert blitzte kurz auf und verschwand dann. Geschockt starrte Steve die Herrin der Zeit an, die eindeutig aufgegeben hatte.
„Q'nqüra... du lässt Mikoto einfach im Stich?“, fragte er ungläubig. „Sie lässt mich gehen, weil sie weiß, dass sie mich gehen lassen muss.“
Hatsumomo lächelte erneut siegessicher, denn sie wusste, dass sie gewonnen hatte. Endgültig gewonnen... nach all der langen Zeit. Sie musste sich nur noch umdrehen und gehen.
Dieser Kampf ging an sie...
„Ach herrje, schau dir nur das Kleid dieses Mädchens an...“ Sie zupfte, nur in der Absicht Steve und Q'nqüra zu ärgern, an den Fetzen, die einmal Mikoto's Kleid dargestellt hatten.
„Sag mir, Q'nqüra... willst du mir nicht kurz ein paar von Mikoto's Sachen zukommen lassen?“
„... verschwinde, Hatsumomo. Bevor ich mich vergesse...“ „Q'nqüra!“
Ein letztes Mal lachte Hatsumomo über die hilflose Herrin der Zeit und ihren noch hilfloseren Kendo-Wunderknaben, dann packte sie Mikoto fester und lief in die dunkle Nacht.
Es war für sehr lange Zeit das letzte Mal, dass die Herrin der Zeit und die Göttin Hatsumomo Van Rosebird aufeinander treffen sollten.
Die Gemeinschaft zerbricht
Akt 6
Einige Stunden bevor Mikoto sich zur Oper begab, spielte sich noch etwas ganz anderes in Ichihara ab. Eine persönliche Tragödie und das vorläufige Ende einer sehr langen Geschichte.
Yuki und Sayuri hatten sich gerade von Mikoto verabschiedet und waren auf dem Weg in die Innenstadt, genauer gesagt zu einem modernen Einkaufszentrum, in dem es wohl wirklich alles zu kaufen gab. Einige Jugendliche nannten den Komplex auch gerne „das RealLife-Internet“. Von Klamotten über Essen, Ausrüstungen zum Klettern oder Angeln, über Massage-Saloons und Nagelstudios, Gaming- und Karaoke-Centern bis hin zu Restaurants aus gefühlt allen Ländern dieser Welt drängten sich hier dicht an dich. Eine in den letzten Jahren gestiegene Anzahl an Cosplay-Cafés, Nintendo-Shops und anderer Otaku-Kultur sorgte sogar dafür, dass das riesige Einkaufszentrum immer öfter im gleichen Satz mit Shibuya genannt wurde. Man bekam fast alles hier... und darum war es auch für die Jugendlichen Ichiharas das „Real-Life-Internet“.
Yuki war schon öfters hier gewesen, meist allerdings alleine. Der größere Teil seiner Kleidungsstücke hatte er hier in diesem ShoppingCenter gekauft... und noch viel mehr seufzend zurück gehangen. Heute war es jedoch anders, heute hatte er Sayuri dabei. Er war auch nicht hier, um die Schaufenster bestimmter Läden mit großen, funkelnden Augen und schmerzendem Herzen zu bewundern, wie er es sonst immer tat, wenn ihn die Sehnsucht überkam, sondern um seiner Cousine beim Einkaufen zu helfen.
Das Mädchen in dem schwarzen Gothic-Lolita-Kleidchen klammerte sich an seinen Arm und warf nervös mal die Blicke hier hin und mal da hin. Er konnte kaum glauben, dass dies das gleiche Mädchen war, dass ihm vor so vielen Jahren als Cousine vorgestellt wurde. Jenes Mädchen, dass ein Wildfang gewesen war, kaum zu bändigen. Jetzt aber schien diese Seite an ihr komplett verschwunden. Jene Seite, die er damals, vor so langer Zeit, verwundert kennen und auch fürchten gelernt hatte.
Damals... als Megumi noch lebte.
Yuki schüttelte den Gedanken ab und versuchte sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Er war hier, weil sich seine Cousine seit dem Vorfall am Meer kaum noch irgendwo alleine hin traute. Selbst in der Schule isolierte sich das Mädchen, dass noch vor so kurzer Zeit ein sozial aktives Problemkind war, immer mehr ab. Er hoffte nur, dass sie sich mit der Zeit beruhigen würde... immerhin war Mikoto rechtzeitig eingeschritten und am Ende dadurch gar nicht so viel passiert.
Vielleicht sollte er...
„Sayuri...“
Er kam nicht dazu weiter zu reden, denn seine Cousine unterbrach ihn sofort wieder.
„Hier... schau mal. Der sieht doch gut aus.“
Mit ihrem Finger deutete sie auf die Filiale eines großen Modegeschäfts. Alleine der Gedanke, dass Sayuri dort einkaufen wollte,
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