Die Geisterseherin (German Edition)
übernachten...“
Von irgendetwas musste die alte Dame ja auch leben, dachte er bei sich. Es wäre einfach mit seinem Gewissen nicht vereinbar, wenn er jetzt eine ganze Woche oder gar noch länger, je nachdem, wie lange er brauchte, die Gastfreundschaft der alten Dame ausnutzte. Er zog sich darum hastig an und machte, teils auch aus Gewohnheit, sein Bett, bevor er die Tür öffnete und in den Flur trat, von wo aus er bereits Stimmen aus dem Wohnzimmer, dass im Erdgeschoss lag, hörte.
„Scheint so, als sei ich doch nicht der einzige Gast...“
Anscheinend war nach Mitternacht doch noch jemand gekommen, denn er hatte, als er hier ankam, keine weiteren Gäste sehen können. Auch vor dem Haus hatten keine weiteren Autos gestanden. „Hmm, vielleicht auch nur die Nachbarin...“, brummte er vor sich hin, stieg die Treppen hinab und öffnete die Tür zum Wohnzimmer, wo er die alte Dame mit einer Tasse Tee am Tisch sitzen sah. Ihr gegenüber eine junge Frau mit...
„Oh...“
Manchmal war das Leben wirklich auf seiner Seite, dachte er bei sich, als er die Frau erblickte. Es war die Dienstmagd vom vorherigen Abend, welche sich mit der alten Dame unterhielt. Sie hatte jetzt natürlich nicht mehr diese altmodische Dienstmagd-Uniform an, sondern trug ein normales, dunkles und irgendwo auch teuer wirkendes Sommerkleid und darüber einen hellen Bolero. Kinoshita hatte alle Mühe seine Blicke von der Frau wieder abzuwenden, denn ihre privaten Klamotten waren wesentlich freizügiger als die altmodische Uniform vom Vorabend und entsprechend gut konnte man ihre Kurven erkennen. Die Frau, das musste Kinoshita schwer schluckend zugeben, sah heiß aus... richtig heiß.
Die beiden hatten sich, als er eintrat, leise unterhalten, doch jetzt sprang die alte Dame auf und bot ihm ihren Stuhl an, den Kinoshita nur sehr zögerlich annahm.
„Ich mache Ihnen ein wunderbares Frühstück!“, brabbelte sie aufgeregt und wuselte dabei so schnell durch das Zimmer, dass sich Kinoshita anfing zu fragen, ob sie nicht vielleicht nur so alt aussah, aber in Wirklichkeit viel jünger war.
„Wie klingt Rührei für sie? Ich habe ganz frische Eier vom Bauern um die Ecke da! Und gutes Brot.“
„Danke, das klingt lecker...“
Die alte Dame wuselte noch einmal durch das Zimmer und verschwand dann durch eine Tür in der Küche.
„Ihre Mutter?“, fragte Kinoshita die Dienstmagd, welche die ganze Zeit mit einem leichten Lächeln auf den Lippen der alten Frau hinterher geblickt hatte.
„Die alte Nanjo? Nein, sie ist nur eine gute Freundin, die mir vor Jahren einmal sehr geholfen hat.“
„Ich muss mich erst einmal bei Ihnen bedanken. Ich weiß, dass ich gestern Abend nach der langen, anstrengenden Reise und dem eher frustrierendem Gespräch mit ihrem... Herrn ein wenig unhöflich war. Dass sie mir trotzdem diese Bleibe für die Nacht empfohlen haben, rechne ich Ihnen hoch an.“
Und noch mehr rechnete er ihr an, aber das sagte er nicht, dass sie jetzt hier war und er sich mit ihr unterhalten konnte.
„Oh, machen Sie sich darüber keine Sorgen, das ist doch nur selbstverständlich.“
Kinoshita musste an den Abend zurück denken, und wie grob dieser Jin Hamada diese Frau, deren Name er noch immer nicht kannte, wie er gerade feststellte, wieder zurück in die Villa gezogen hatte. „Aber was ist mit Ihnen? Dieser Hamada hat Sie gestern ziemlich grob behandelt... Sind sie okay?“
„Mir geht es blendend, vielen Dank“, erwiderte die Frau lachend. „Jin Hamada ist der netteste Mensch, den Sapporo je hervorgebracht hat. Machen Sie sich bitte keine Sorgen um mich, er würde mir nie etwas tun.“
„Ja..? Das sah gestern Abend aber ganz anders aus. Auf mich wirkte das eher, als wäre er ziemlich grob und jähzornig...“
Zumindest gegen Ende... würde er diesen reichen Schnösel nur nach den ersten Minuten ihres Gespräches beurteilen, dann hätte er auch eine gute Meinung von ihm.
„Ja, ich weiß. Er hat gestern ziemlich grob gewirkt... er wollte mich halt einfach beschützen.“
„Sie...?“, fragte Kinoshita überrascht, denn schließlich war die Frau nur eine niedere Dienstmagd!
„Ja...“
Das Lächeln der Frau war aus ihrem Gesicht verschwunden und wurde durch einen Blick ersetzt, den Kinoshita nicht so wirklich deuten konnte, aber mehr so wirkte, als sei sie in Gedanken ganz weit weg.
„Ich glaube, wir haben uns noch gar nicht richtig vorgestellt... mein Name ist Kouhei Kinoshita.“
Er streckte ihr die Hand entgegen und nach kurzem Zögern ergriff
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