Die Geisterseherin (German Edition)
die Frau sie.
Wie zart... dieser Gedanken schoss durch Kinoshita's Kopf, als er ihre Hand berührte. Das waren doch keine Hände einer Dienstmagd! „Erfreut Sie kennen zu lernen, Herr Kinoshita. Ich bin... die Person, die Sie suchen.“
„Äh... was?“
Sie zog die Hand zurück, als die alte Dame mit kleinen schnellen Schritten in das Zimmer gewuselt kam und Kinoshita einen Teller mit Rührei und einer Scheibe Brot hin stellte.
„Der Tee braucht noch ein paar Minuten, aber greifen Sie ruhig schon zu. Was ist mit dir, Yumi? Hast du denn keinen Hunger, Liebes?“ „Nein, danke. Ich habe bereits in der Villa mit Jin gegessen.“ Die alte Dame sagte etwas von, dass man in diesen Zeiten nie genug essen könnte und verschwand wieder in der Küche.
„Sie sollten das Rührei essen, bevor es kalt wird“, witzelte die Frau, denn Kinoshita hatte sich die komplette Zeit über nicht gerührt. Sein Gehirn versuchte noch zu verarbeiten, dass die Frau vor ihm eben jene Yumi aus der Kneipe in Ninohe war, welche er für Yuki Yutaka gehalten hatte. Er hatte das Ziel seiner Suche am gestrigen Abend erreicht gehabt, aber nicht erkannt. Allerdings... er konnte sich jetzt nicht mehr vorstellen, dass es sich hierbei um die gleiche Person handelte. Natürlich konnte man sich als jemand ausgeben und es war für Yuki Yutaka sicherlich nicht schwer so auszusehen, wie seine tote Zwillingsschwester... aber das?
Diese Frau sah, egal wie er sie anschaute, aus, wie eine Frau! „Entschuldigung, wenn ich sie das jetzt frage...“
Die Frau lachte laut auf.
„Sind Sie so überrascht mich gefunden zu haben, Herr Kinoshita?“ Dann wurde sie wieder ernst.
„Wie geht es dem alten Tanaka eigentlich? Lebt seine Kneipe noch?“ Kinoshita nickte leicht.
„Ja, dem geht es gut... ich war erst vorgestern dort.“
„Das freut mich... Wissen Sie, ich denke oft an den alten Tanaka zurück, habe aber nie den Mut aufgebracht noch einmal dorthin zurück zu kehren...“
„Und warum nicht? Was hat Sie davon abgehalten?“
„Ich bin nun einmal ein Mensch, der stets nach vorne blickt. Was geschehen ist, ist geschehen. Die Vergangenheit lässt sich weder ändern, noch wiederbeleben. Warum also sollte ich in ihr schwelgen, zu ihr zurückkehren? Es würde am Ende nur ein Loch in mein Herz reißen. Ich habe in meinem Leben eben gelernt, immer nach vorne zu blicken und nie zurück.“
Kinoshita wollte etwas schlaues darauf sagen, aber ihm fiel nichts ein, was er darauf antworten konnte.
„Außerdem... zu je weniger Menschen ich einen Kontakt pflege, desto seltener kann sie der Virus mir entreißen, oder?“
„Das stimmt schon... irgendwo. Aber es ist auch ein einsames Leben...“, antwortete ihr Kinoshita schließlich.
„Nein, ist es nicht. Meines jedenfalls nicht. Ich habe die alte Nanjo und ich habe Jin. Wen sonst sollte ich in meinem Leben brauchen?“ Kinoshita, der sich noch immer unsicher war, ob diese wirklich gut aussehende Frau tatsächlich Yuki Yutaka war, auch wenn die Haarfarbe durchaus passen würde, beschloss, sie direkt auf ihre Familie anzusprechen.
„Was ist mit Ihrer Familie?“
„Haben Sie mich wirklich gesucht, ohne zu wissen, dass ich von Zuhause ausgerissen bin?“
„Nein, das ist mir bewusst. Aber das ist zwanzig Jahre her...“ „Hören Sie, Herr Kinoshita. Ich bin damals nicht aus Ichihara weggelaufen, um irgendwann dort wieder mit eingezogenem Schwanz aufzutauchen. Ichihara... diese Stadt bedeutet für mich die Hölle, ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens dort verbracht, mit einer Mutter, die ihre gesamte Umgebung belogen hat und einer Klasse, welche die längste Zeit nur Spott und Hohn für mich übrig hatte. Von Anfang an hatte ich geahnt, dass ich nur leben kann, wenn ich von dort verschwinde... und die Entscheidung genau das zu tun habe ich nie bereut.“
„Dann sind Sie also wirklich Yuki Yutaka... und Yumi ist nur ein Deckname?“
Die alte Frau kam wieder zurück und stellte eine Tasse Tee auf den Tisch.
„Das ist ein Name, den ich schon lange nicht mehr gehört habe...“, murmelte die Frau vor ihm und die alte Dame zog sich, nachdem sie einen prüfenden Blick auf Kinoshita und Yuki geworfen hatte, wieder zurück.
„Aber es ist ihrer, nicht?“
„Nicht mehr... schon lange nicht mehr. Yuki Yutaka... das war eine Identität, ein Leben... eine Lüge, wenn sie es so wollen, die ich damals gelebt habe. Auf alle Fälle etwas, dass ich hinter mir gelassen habe, als ich den LKW stieg und Ichihara verließ.“
Kinoshita
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