Die Geisterseherin (German Edition)
nicht die Stimme von Mikoto gewesen war. Nein, sie war ein wenig tiefer gewesen.
Er würde die Person hinter ihm niemals wirklich zu Gesicht bekommen, nur einen flüchtigen Eindruck von Farben erhalten, ein unscharfes Bild, dass nur erahnen ließ, wer hinter ihm gestanden hatte.
Dafür sah er etwas anderes scharf, ein einzelnes Buch, dass zu seinen Füßen lag, halb verzehrt von den Flammen, die es bedeckten. Knisternd auslöschend, was über viele Leben hinweg geschrieben wurde.
Seine Seele schrie, als sie aus dem Körper des alten Mannes gerissen wurde, der Parkplatz des Gefängnisses kleiner wurde und im unendlichen Schwarz des Nichts zu versinken schien. Sein letzter Gedanke, bevor er sein Bewusstsein vollkommen verlor, war „Minshuku Okinawa Jikan“, jenem Ort, an dem sich die Herrin der Zeit angeblich hatte aufgehalten.
Jenen Ort, den er nicht wissen sollte und für den er jetzt sein Leben und seine Seele gab.
„Sie waren gut, Herr Kinoshita... wenn auch wirr im Kopf.“ Die Herrin der Zeit blickte auf den leblosen Klumpen Fleisch zu ihren Füßen und die noch immer lodernden Seiten des Zeitenbuches einer Seele, die einst große Leben gelebt hatte.
„Kein Wunder, waren sie doch große Namen in ihren alten Leben... Aber im Prinzip tat ich Ihnen ja einen Gefallen dafür, dass Sie tatsächlich meinen Aufenthaltsort heraus fanden. Sie werden es jetzt nicht mehr erfahren, aber Sie waren krank, infiziert durch den Virus von Ragnarök. Gelebt hätten Sie eh nicht mehr lange genug, um Nago zu erreichen. Jetzt leiden Sie wenigstens nicht mehr... naja, fast.“ Sie starrte auf das Gefängnis, in dem noch immer Steve saß, inzwischen wieder in seiner Zelle.
„Steve Steiner... wenn wir einst nicht zusammen gearbeitet hätten, dann wärst du der nächste, den ich zum Schweigen bringen würde. Du weißt, was hier geschah, nicht wahr? Lass dir das eine Lehre sein... Sieh dein restliches Leben als Geschenk von mir an... und winde dich in dem Wissen, dass du nun auch diesen Mann in den Abgrund gestürzt hast.“
Sie drehte sich herum und verschwand. Übrig blieb nur der Körper des leblosen Ex-Kommissars und das noch leicht glühende Zeitenbuch, für immer vernichtet.
Die Herrin der Zeit hatte Kinoshita ausgeschaltet, nicht wissend, warum er sie eigentlich suchte. Sie hatte seit Tagen sein Buch verfolgt, aber seine Aktionen ergaben für sie oft keinen Sinn. Sie hatte gewusst, dass er daran glaubte, dass Mikoto noch leben würde, aber das war nur der Wahnsinn eines alten Mannes gewesen. Sie selbst hatte ihr Zeitenbuch vernichtet, Mikoto war nur eine Illusion eines alten Narren, der sich einbildete, dass er noch einmal etwas zustande bringen konnte.
Trotzdem war es zu gefährlich gewesen ihn am Leben zu lassen. Sie hatte keine Zeit sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen. Und so schloss sie das Kapitel Kinoshita für immer, nicht wissend, dass jemand eine einzelne Seite aus dem noch glühenden Haufen Asche herausgezogen hatte. Jemand, der verstand, was auf dieser Seite stand und damit auch die letzten Gedanken des Kommissars lesen konnte.
Jemand der stocksauer auf die Taten der Herrin der Zeit war.
Gegen die Zeit
Akte 9
Es war ein kleines Apartment, voll gestellt mit allerlei Gerümpel. Bücher lagen kreuz und quer über den Haufen, einige KendoSchwerter staken dazwischen und die Wände standen voller Regale, in denen irgendwelcher anscheinend sinnlose Krimskrams lagerte. Das Apartment sah aus, als würde es einem Messi gehören, einem jener Menschen, die alles aufhoben und nie etwas wegwarfen.
Inmitten dieses Gerümpels stand ein einzelner Tisch, ein Schreibtisch. Er war der einzige Gegenstand der nicht voll Müll und Gerümpel war, im Gegenteil... er erschien sogar unnatürlich sauber und aufgeräumt. An diesem Tisch saß eine Frau mit langen blonden Haaren. Ihr eines Auge war in einige Unterlagen fixiert, die sie mit ihrem Arm fest hielt. Ihr Blick war grimmig und wirkte nicht so, als würde sie irgendetwas angenehmes studieren.
Sie war eine der wenigen Personen, welche sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert hatte, aber das war auch kein Zufall, denn schließlich war sie eine Göttin. Wie auch die Herrin der Zeit selbst, war sie nicht direkt der Alterung unterworfen.
Die erste Frage, die man sich jetzt natürlich stellte und welche auch vor langer Zeit von einem, damals noch jungen Teenagerin gestellt wurde, war, wieso sie als Göttin noch immer mit nur einem Arm und einem Auge umher lief. Als Göttin,
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