Die Geisterseherin (German Edition)
Kouhei hatte es verdient, so dachte er, dass die Frau erfuhr, dass ihr ehemaliger Mann seinen Teil dazu beigetragen hatte, diese Welt zu retten. Mehr noch, als er selbst wohl getan hatte.
„Ich hoffe, dass sich so etwas nun nie wieder wiederholt...“, murmelte er und setzte nach kurzem Zögern einige Worte auf die Karte. Seine Hand zitterte leicht, als er sie schließlich mit seinem Namen unterschrieb.
„Du hast gute Arbeit geleistet...“, murmelte er erneut und steckte die Karte in einen Umschlag, den er auf eine der vielen Ablagen legte. Jene Ablage war nur für den Postverkehr gedacht und wenn es auf den Feierabend zuging, würden alle dort befindlichen Dokumente und Briefe verschickt werden. Zwei Tage später würde Frau Kinoshita, die trotz der Trennung den Namen beibehalten hatte, die traurige Nachricht bekommen. Ob er zu dem Zeitpunkt bereits wieder in Ichihara war, war jedoch fraglich.
Er hatte hier noch viel zu tun, noch viel aufzuarbeiten... alleine. Aber letztendlich lag es an ihm, genug Beweise zusammen zu bekommen, um die heute inhaftierte Frau wirklich auch inhaftiert halten zu können.
Mit einem Seufzer schloss er die Akte auf seinem Tisch und starrte an die Wand. Eine einzelne Träne rann an seinem Gesicht herunter, als seine Gedanken erneut zu seinem ehemaligen Partner schwenkten. Es war in diesem Moment, als die Tür des Büros sich öffnete und ein junger Polizist, der aussah, als wäre er erst seit einem Tag bei der Polizei, in das Zimmer stürzte.
Hastig wischte er sich die Träne vom Gesicht und keifte den jungen Polizisten dann an.
„Haben Sie schon einmal etwas von Anklopfen gehört?!“ „Entschuldigung!“, rief der Polizist erschrocken und taumelte gleichzeitig einen Schritt zurück.
„Aber... es ist wichtig! Sie müssen sofort mit mir mitkommen!“ Heftig gestikulierend deutete der junge Mann immer wieder zur Tür. Es schien, als sei es wirklich wichtig...
Mikoto hatte Miu tatsächlich einholen können und war mit ihren Privatjet in Richtung Sapporo mit geflogen. Dabei hatte man einen Zwischenstopp in Kyoto gemacht, den Mikoto ausnutzte, um sich von der Herrin des Todes zu verabschieden. Dadurch hatte sie bereits am späten Nachmittag den Bahnhof von Kyoto erreicht und saß auch bereits kurze Zeit später im Zug nach Tokio. Vor ihr lag also nur noch eine dreieinhalb Stunden dauernde Fahrt quer durch einige der noch dichter besiedelten Teile Japans.
Ihr Ziel war Nishishinjuku Station, der Hauptbahnhof von Tokio und von dort aus wollte sie den ersten Zug nach Ichihara nehmen, welcher nur eine Stunde brauchen würde, um sie letztendlich nach zwanzig langen Jahren an den Ort zurückbringen würde, den sie einst ihr Zuhause nannte.
Sie ergatterte einen Fensterplatz, was allerdings nicht allzu schwer war, da der Zug zwar gefüllt, aber nicht überfüllt war und starrte diese dreieinhalb Stunden nach Tokio die gesamte Zeit aus dem Fenster. Mikoto lächelte, denn sie war zufrieden. In ihren Gedanken kehrte sie an jenen Tag zurück, als ihr Hatsumomo erklärte, was ihr Plan war und welche Rolle sie, Mikoto Sugisaki dabei spielen sollte. Damals war sie nur eine Geisterseherin gewesen, eine von vielen, die sich nie wirklich gefragt hatte, warum sie diese Geister eigentlich sah. Für sie war die Sache seit ihrer Kindheit immer klar gewesen. Alle Menschen sahen Geister und man erzählte den Kindern einfach lange genug, dass sie nicht da waren, bis deren Verstand sie tatsächlich ausblendete. Der Mensch konnte sich viele Dinge erfolgreich einreden, warum also nicht auch so etwas?
Damals hatte sie nicht gewusst, dass sie die Ausnahme war, dass diese Regel für alle zutraf, nur nicht für sie.
Inzwischen wusste sie ja, sie sah Geister nicht, weil sie nie verlernen wollte sie zu sehen... Ihr Gehirn zeigte ihr diese, weil sie die Geister sehen musste, um nicht den Verstand zu verlieren.
Ihre Gedanken glitten zu ihrer Mutter, zu jenem Geist, mit dem alles begonnen hatte und welcher vor zwanzig Jahren zum Rad des Schicksals aufgebrochen war. Als ihre Mutter starb, da hatte sie zum ersten Mal einen Geist gesehen, kurz darauf kamen dann auch die anderen hinzu.
Manchmal fragte sie sich, warum ihr Körper das tat... warum ihr eigener Körper die seltsame Eigenschaft hatte, sich jeglicher Situation anzupassen.
Ja, das war der Grund. Sie hatte Geister gesehen, weil der Verlust ihrer Mutter für sie nicht verkraftbar gewesen wäre. Ihr Gehirn hatte lediglich reagiert und sich angepasst. Eine Fähigkeit ihres
Weitere Kostenlose Bücher