Die Geisterseherin (German Edition)
„Und?“, fragte ihr Vater neugierig. „Wer ist dieser Yuki, dass du mit ihm so spät Abend noch weg gehst?“
Ihr Vater stand hinter ihr und hatte das Gespräch wohl mit angehört. Mikoto antwortete auf seine Frage wahrheitsgemäß: „Er ist ein Klassenkamerad von mir, hatte einige familiäre Probleme und ich habe ihm geholfen. Du weißt doch, als ich am Donnerstag so spät nach Hause kam.“
Ihr Vater zog eine Augenbraue hoch.
„Ah, das war also der Grund?“
„Ja... Er hat mich gefragt, ob ich ihm noch einmal bei etwas helfen könnte, hat mir aber nicht gesagt, worum es geht.“, antwortete Mikoto nickend.
„Tja...“
Ihr Vater verschränkte die Arme und lächelte.
„Und ich dachte schon, dass du dir einen Freund geangelt hättest. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden, nicht?“
Mikoto verzog bei dem Gedanken das Gesicht.
„Ich habe kein Interesse an Yuki, jedenfalls nicht in dieser Art. Okay?“
„Was denn, was denn? Da brauchst du doch nicht gleich so verschnupft zu reagieren. Wenn du dich für den Abend mit einem Jungen verabredest, dann solltest du auf solche Kommentare vorbereitet sein.“, antwortete ihr Vater lachend.
„Weißt du, bei deiner Mutter war es ähnlich.“
„So?“
Mikoto schluckte ihren Ärger herunter, da es nicht allzu oft vorkam, dass ihr Vater von sich aus seine dahingeschiedene Frau erwähnte. Die Erinnerung an sie stimmte ihn meist sehr traurig und dazu kam, dass er es vermied von ihr zu reden, da er Mikoto's „Halluzinationen“ nicht noch ankurbeln wollte.
Heute sprach er aber offen – und darum ließ ihn Mikoto auch gewähren.
„Ich hatte keine Ahnung, dass deine Mutter so gut singen konnte, Mikoto. Als ich sie traf, erkannte ich sie nicht als die berühmte Opernsängerin, da ich selbst nie Opern gehört hatte. Außerdem hatte ich meinen Kopf mit meinen Forschungen voll. Es gleicht einem Wunder, dass ich sie überhaupt traf. Das habe ich einem Freund von uns beiden zu verdanken, weißt du? Dank ihm wurden wir beide Freunde. Jedenfalls gab es da eine Nacht, die fing genauso an, wie heute... deine Mutter rief allerdings mich an, nicht anders herum. Sie fragte mich, ob ich ihr nicht bei etwas helfen könnte und wie sich später herausstellte, brauchte sie einen Partner zum Üben der neuen Oper, in der sie auftrat. Und dabei konnte ich doch so schlecht singen... Wir haben wirklich mehr über meine Gesangskünste gelacht, als ihre Oper zu üben. Jedenfalls endete der Abend damit, dass wir uns näher kamen... und ein paar Wochen später waren wir ein Paar.“ „Ah, so war das also bei euch... Aber mal ehrlich: Yuki und ich werden niemals ein Paar werden, Vater. Da kannst du mir wirklich glauben.“
„Es wäre doch schön, oder etwa nicht?“
„Nein...“, antwortete Mikoto ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Dann beendete sie das Gespräch und obwohl sie ein wenig sauer war, weil ihr Vater so einen Unsinn als Thematik hervorgebracht hatte, war sie nicht mehr wirklich wütend. Sie hatte etwas über ihre Mutter erfahren können und zudem war die Vorstellung alleine schon so abwegig, dass sie am liebsten laut losgelacht hätte.
Den Nachmittag verbrachte Mikoto in ihrem Zimmer, vor Hitze ächzend, saß sie die meiste Zeit vor dem Ventilator, den sie bei sich im Zimmer stehen hatte. Zwischendurch nahm sie eine eiskalte Dusche und holte sich ein Eis aus dem Tiefkühlschrank. Aber im Großen und Ganzen war es ihr zu heiß, um auch nur irgendetwas zu tun.
Schließlich kam der Abend und mit ihm auch eine kleine Abkühlung der Temperatur, auch wenn die Wettervorhersage meldete, dass ein Hoch auch die gesamte nächste Woche für brütende Hitze sorgen würde.
Der Supermarkt, den Yuki erwähnt hatte, gehörte zu einer großen Kette, die vor einigen Jahren in die Schlagzeilen geraten war, da sie wissentlich mit Quecksilber verseuchtes Delphinfleisch verkauft hatten. Inzwischen aber hatte man das Delphinfleisch ganz aus dem Sortiment genommen, was nicht nur Mikoto als bessere Lösung empfand. Sie mochte weder Wal- noch Delphinfleisch und unterstützte deren Verzehr auch nicht. Als einmal ihr Vater ihr etwas Gutes tun wollte und Walfleisch mitbrachte, hatte sie ihn in ihrer Wut beinahe einen Kopf kürzer gemacht. Sie konnte verstehen, warum ihre Landsmänner dieses Fleisch früher aßen, aber für sie bestand in der heutigen Zeit kein Grund mehr dafür. Es gab mehr als genug Alternativen und manche Traditionen mussten man irgendwann einfach vergessen, weil sie überholt
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