Die Geisterseherin (German Edition)
waren.
„Mikoto, Mikoto!“
Jemand rief ihren Namen und als sie sich umdrehte, sah sie den Jungen mit den rosa gefärbten Haaren - Yuki... allerdings hätte sie ihn vermutlich nicht gleich erkannt, wenn er wortlos an ihr vorbeigelaufen wäre.
Yuki trug an diesem Abend nicht die Kleidung seiner Schwester, so wie er es bisher getan hatte. Stattdessen trug er ein ganz normales dunkles Hemd und eine noch normalere dunkle Hose. Obwohl es eigentlich die passende Kleidung für sein Geschlecht war wirkte es auf den ersten Blick ungewohnt und seltsam. Erst dadurch bemerkte Mikoto, wie sehr sie sich eigentlich bereits an den Anblick von Yuki in Megumi's Kleidung gewöhnt hatte.
„Was ist denn mit dir passiert, Yuki?“, fragte sie verwundert. Sie deutete auf seine Kleidung und Yuki lächelte etwas gequält. „Meine Mutter wieder... sie hat Gift und Galle gespuckt, als sie mich heute Morgen wecken wollte und statt Megumi natürlich mich im Nachthemd erkannte. Dabei ließ sie sich gestern Abend noch erfolgreich täuschen und brachte „Megumi“ zu Bett.“
„Dann hat das Verschwinden des Geistes zwar geholfen, aber das Problem nicht aus der Welt geschafft?“
„Wenn ich wüsste, wann sie was sehen will, dann könnte ich mich darauf einstellen. Aber momentan ist es, als würde ich grundsätzlich die falschen Sachen tragen... denn als ich vorhin ging, da fragte sie mich wieder, ob ich Megumi gesehen hätte. Irgendwann trage ich einfach obenrum Megumi's Sachen und untenrum meine...“ Mikoto seufzte. „Also eher eine vorübergehende Besserung und jetzt wird es wieder schlimmer... tut mir leid, Yuki.“
„Braucht es nicht... selbst Doktoren und Psychiater konnten ihr nicht helfen. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ein fehlender Geist plötzlich alles gerichtet hätte.“, wehrte Yuki ab.
„Psychiater können eh nichts, diese Seelenklempner sollten lieber ihr eigenes Leben auf die Reihe bringen.“
Sie dachte dabei an Q'nqüra, die momentan vermutlich wieder über irgendwelchen Büchern brütete, deren Seiten nur noch sinnlosen Kauderwelsch ergaben.
„Hatschii!“ Im gleichen Moment, als Mikoto das dachte, musste, nicht weit von ihnen entfernt, die Herrin der Zeit ganz fürchterlich niesen. „Genug von Psychiatern und Kleidungsstücken. Wozu hast du mich überhaupt hierher bestellt?“, fragte Mikoto.
Yuki hielt ihr einen kleinen dunkelblauen Rucksack als Antwort hin, den er in der Hand gehalten hatte.
„Was ist damit?“
Mikoto nahm ihn entgegen und öffnete ihn neugierig. Sie hatte mit irgendeiner Überraschung gerechnet, doch in ihm lagen nur zwei Taschenlampen und ein Fotoapparat.
„Taschenlampen und Fotoapparat? Wozu packst du so etwas ein?“, fragte sie Yuki.
„Nachdem du mir das mit Megumi und das du Geister sehen kannst erzählt hast, sollte ich ja nach Hause laufen... und als ich da so auf meinem Bett saß und überlegt habe, ob mir das wirklich passiert war, ist mir etwas eingefallen.“
„Etwas eingefallen? Was denn?“
„Es gibt in der Schule ein Gerücht... ich weiß nicht, wie alt es ist, aber es heißt, dass schon fast so alt sei, wie die Schule selbst.“ Mikoto runzelte die Stirn. „Ein Gerücht?“ Sie ahnte bereits, worauf Yuki hinaus wollte. Sie kannte besagtes Gerücht zwar nicht, aber es war nicht allzu schwer zu erraten, worum es gehen würde. „Ja, es heißt, dass in einer Sonntag Nacht ein Geist durch die Schulgänge spuken würde.“, antwortete Yuki.
„Ah... klar. Halte ich ehrlich gesagt für unwahrscheinlich. Gibt es bei diesem Gerücht eigentlich noch andere Infos über diesen Geist?“ Yuki nickte hektisch und erzählte dann in einer gedämpften Stimmlage: „Nun, es heißt in der Schule, dass ein blindes Mädchen vor vielen Jahren bei einem schrecklichen Unfall vom Dach gefallen sei. Obwohl das Dach damals für Schüler tabu und abgesperrt war, hatte sie irgendwie einen Weg dort hoch gefunden. Allerdings weiß niemand, was dort oben wirklich geschah und ob sie selbst sprang oder gar geschubst wurde. Jedenfalls soll sie jetzt jede Sonntag Nacht ab 22 Uhr durch die Gänge des alten Schulkomplexes wandern, mit blutigen Augenhöhlen, auf der Suche nach der Wahrheit... und sie soll in einer unverständlichen Sprache jammern!“
Mikoto lächelte etwas gequält. Solche Geschichten hatte sie schon viel zu oft gehört und sie hatte auch schon mehrfach erfolglos einen Schulverweis riskiert, um sie zu überprüfen.
„Das klingt mir nach einer ausgedachten Gruselgeschichte, wie es sie fast an
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