Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
längst erloschen und heruntergebrannt, wie eine deformierte, abgeschossene Patronenhülse, in dem großen Ascher lag. May reichte ihm stumm das Kistchen. Noch ganz in Gedanken suchte Schneider darin eine ganz bestimmte Marke, nahm dann aber doch wahllos eine aus der oberen Reihe.
Er schlage vor, sagte der Maler, nachdem er sich die Zigarre angezündet hatte, und da sein lieber Gastgeber ihm ohnehin angeboten habe, die Nacht hier in der Villa zu verbringen, dass man am Morgen, ausgeruht, mit nur halb vollem Magen und ohne Alkohol über all diese Dinge sprechen und verhandeln sollte … heute Abend werde das nichts mehr.
May schwieg, er warf einen Seitenblick auf seine Frau, nickte dann zustimmend, murmelte: Ja, so sollten wir es machen, die Uhr gehe sowieso auf Zwölfe, es wäre schon spät …
Der Maler wollte sich erheben, da gebot May ihm noch einen Augenblick sitzenzubleiben.
Er streckte den Arm aus, rief: Halt, mein Freund! Halt! Still!
Und er sagte: Erst wolle er noch ein paar Worte sagen, ein paar grundsätzliche Anmerkungen anfügen, sozusagen als philosophische Gedanken vor dem Einschlafen, als eine Art Nachpredigt, also möge sein lieber Freund noch Folgendes hören: Unser beider Kunst, mein lieber Freund, wenn wir sie als diejenige Betätigung unserer Seelen und unseres Geistes verstehen, die in das Innere der Gegenstände eindringt, um deren Wesen zu erfassen, und die dann wieder nach außen zurückkehrt, um das Äußere im Einklange mit dem Innern darzustellen – dieses künstlerische Schaffen werde dadurch zu einem einzigartigen göttlichen Schöpfungsakt: So wie Gott sich in sich selbst versenkte, als er beschloss, das All mit seiner Schöpfung zu erfüllen, so lässt sich der schaffende Künstler, lassen wir uns, in unser eigenes Ich hinunter, während Gott im Geiste und in der Vollkraft seiner Werke auf die Höhe des sichtbaren Lebens steigt. Wir Künstler müssen die sinnlich wahrnehmbaren, die äußeren Erscheinungen der irdischen Dinge mit der wirklichen Wahrheit ihres Wesens in eine sichtbare Harmonie bringen. Denn die Aufgabe aller Kunst ist es schließlich, wie ich an diesem Abend schon einmal sagte, zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen der Wissenschaft und der Religion zu vermitteln; sie, die Künstler – also Sie und ich, lieber Schneider – wir sind berufen, unser irdisches Wissen zum himmlischen Glauben emporzuführen und die verlorene Erinnerung an Himmlisches, an das Ewige der Menschheit zurückzugeben …
Amen! sagte Schneider. Aber es war nicht sehr spöttisch gemeint, und auch Klara, die wieder sehr andächtig zugehört hatte, murmelte: Amen. Es klang aber wie das Amen einer tief Gläubigen, einer Verzückten, einer dem Priester Verfallenen.
Solcher Rede sei nun nichts hinzuzufügen, sagte der Maler, weshalb er auch sein „Amen!“ gesagt habe. Eherne Gesetze müssten nicht kommentiert werden. Man könne diese Worte auch in Bronze gießen … oder in Granit meißeln.
Indes, fuhr er fort und seine Stimme bekam einen festen Klang, indes wolle er an diesem Abend nicht zur Ruhe gehen, ehe er, wie er sich vorgenommen, seinem lieben Freund, und dessen Gefährtin die letzte Wahrheit über sich, über ihren Künstlerfreund und Geistesbruder Sascha Schneider, gebeichtet habe. Er müsse das tun, es laste auf ihm, und wenn eine Freundschaft ein bestimmtes Maß erreicht, eine bestimmte Höhe erklommen habe, sei es seine selbst verschworene Pflicht, das zu tun …
Schneider holte Luft, verschränkte die Finger ineinander, er schaute zur Decke, vielleicht, um keinen ansehen zu müssen, und er verharrte einen Augenblick. Wieder einmal war für einen Augenblick Schweigen in der alten Veranda. Die Petroleumlampe flackerte, man hörte von draußen die große Wanduhr ticken, es roch nach Petroleum, nach erkaltetem Zigarrenrauch, ein wenig nach dem Räucherfisch, dessen Reste noch auf dem Tischchen standen, es roch auch nach dem Kognak, von dem zwei halb leere Gläser stehen geblieben waren.
Und Klara dachte: Oh, jetzt verrät uns der kleine Maler sein Geheimnis, jetzt erfahren wir etwas über seine heimliche, seine vielleicht verbotene Liebe. Wer wird sie sein? Eine ältere verheiratete Dame vielleicht? Bestimmt kenne ich sie. Oder nicht? Ach wie interessant.
Und May dachte: Oh, wie unerfreulich. Müssen wir das wirklich wissen, was er uns jetzt sagen will? Wäre es nicht besser, wir blieben im Unklaren und behielten unsere Unschuld?
Und Sascha Schneider, immer noch die Augen
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