Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Kumpels kennt. Da hat er gedacht, er sei der Einzige weit und breit, der auf Osterstein schreibt und Schriftliches liebt, und nun zeigt sich, dass sein neuer Freund dieselben Vorlieben hat, ja vielleicht sogar schon ein paar Schritte weiter ist.
Dittrich weiter: Und er habe einen Freund in Dresden, der werde ihm eine Redakteursstelle vermitteln, das sei was Sicheres, mit Gehalt und so weiter, vielleicht beim Dresdner Anzeiger oder woanders. Der Freund sei bei einem Verleger im Dresdner Stadtteil Niedersedlitz angestellt, welcher Fortsetzungshefte herausgebe. Münchmeyer hieße der. Vielleicht gehe er auch dorthin. Der Freund sagt, eine Menge Geld werde da verdient. Und da habe er sich gedacht … der Gefangene Dittrich grient und legt den Arm um Mays Schultern, ja, er habe bei sich gedacht, weil doch er, der kleine May, ihm gefalle und weil sich herumgesprochen habe, dass auch er, wenn er draußen sei, was Schriftstellerisches machen wolle … May zuckt zusammen, murmelt, wie man das wissen könne, er habe doch noch gar nicht … ach komm, Karl, lacht Dittrich und knufft seinen Kumpel in die Seite, hier bleibt doch nichts geheim, alles schwirrt umher, Wahres neben Scheißhausparolen, Erlogenes und Echtes. Oder stimmt’s etwa nicht?
May nickt. Ja doch, es stimmt, wenn ich rauskomme, will ich Schriftsteller werden. Meine Vorstellungen sind ziemlich klar. Weiß schon genau, was ich …
Na siehste, unterbricht ihn Dittrich, also dachte ich mir, ich bereite alles vor, und wenn du dann hier raus bist, kommste einfach nach und arbeitest, wie ich, zunächst als Redakteur bei derselben Firma …
Was hältste davon?
May überlegt. Natürlich freut er sich, das Herz will ihm zerspringen, aber da sind die Zweifel wieder. Er ist schon lange hier. Drei endlose Jahre. Und er weiß, bei allem ist ein „Aber“ – auch, wenn er rauskommt, und wenn alles so wird, wie Maxe gesagt hat, auch da wird es Varianten und verschiedene Möglichkeiten geben. Und man muss sich zwischen ihnen entscheiden. Doch kann er das? Hat er das nicht schon fast verlernt? Hier haben sie ihm alles abgenommen. Die haben gesagt: „Friss!“ und er hat gefressen, „Kleider wechseln!“ und er hat sie gewechselt, „Raustreten!“ und er ist rausgetreten, „Waschtag!“ und er hat sich gewaschen – sie haben gesagt: „Geh dort entlang!“, und da ist er dort entlanggegangen, und auch das „Schreiben“ ist als Befehl entstanden. „Sie werden mein Schreiber!“, hat der Göhler gesagt, und da ist er es geworden. Gewiss, er macht es gerne und es könnte seine Berufung werden. Aber hat er denn am Anfang eine Alternative gehabt? Er hat sich dreingefügt wie in jede andere Aufgabe auch. Mit Freude, ja das stimmt, und mit Hoffnung, aber auch mit dem Gleichmut des Gefangenen. Raus aus dem Trott, hat er gedacht, besser als Pisspötte reinigen oder Matten knüpfen. Schreiber ist was Besseres. Klar. Und als der Göhler gesagt hat: „Sie schreiben und katalogisieren!“, da hat er geschrieben und katalogisiert. Und alles Folgende ist wie von selber gekommen. Er hat eben Glück gehabt. Doch wird er auch draußen solches Glück haben? Hier haben sie das Böse von ihm ferngehalten, die Versuchungen und Verlockungen. Hier gibt’s kein Geld und keine Weiber, hier sind sie alle gleich, es gibt keine Reichen und Barone, es gibt nur Gefangene mit einer Nummer. Wie wird das aber draußen sein? Wer schützt ihn da? Wer wird ihn vor allem vor sich selber schützen?
Was zauderst du? hört er den Dittrich neben sich fragen.
Ach, es ist nichts, antwortet May, ich grüble nur ein bisschen.
Na, da grüble nur nich zu lange, der Göhler wird gleich kommen. Soll ich nu die Sache für dich ausbaldowern oder nischte, Karl? Wie kannste da nur überlegen? Ich an deiner Stelle wäre mir schon lange um den Hals gefallen und hätte geschrien „Maxe! Ich danke dir!“
Da kommt sie das Lachen an, und die beiden Gestalten in ihren Anstaltsklamotten lachen und lachen. Sie lachen und klopfen sich auf die Schenkel und schlagen sich gegenseitig auf den Rücken, sie grölen und kichern, dass die anderen im kleinen Waffensaal erstaunt aufschauen.
Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Ein Wachmann tritt herein und hinter ihm der Chef des Bläserkorps, Karl Friedemann Göhler, ein Endvierziger mit geöltem Mittelscheitel. Göhler verharrt einen Moment, er hält den Kopf leicht nach hinten gebogen, unter den halb geschlossenen Lidern betrachtet er die Versammelten, dann nickt er dem
Weitere Kostenlose Bücher