Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
nur das nicht, fleht sie, ich meine, bitte nichts meinem Bruder sagen, ich will auch, ich will ganz bestimmt, will niemals, niemals wieder die Hausordnung übertreten, bitte nur das nicht, bitte, lieber Doktor, lassen Sie Sascha aus dem Spiel … Tränen steigen ihr auf.
Schon gut, mein Fräulein, ich sagte ja, ich werde Gnade walten lassen … aber nun, lassen Sie uns allein, seien Sie ein braves Kind, gehen Sie auf Ihr Zimmer. Sie können ja am morgigen Tag, sozusagen bei Tageslicht, bei Tageslicht, jawohl, da können Sie mit Herrn Dittrich weiter sprechen und das noch Offene erörtern, das Offene erörtern jawohl … machen Sie einen Spaziergang im Gelände und deklamieren Sie Ihre Gedichte, wenn Sie wollen, Herr Dittrich wird Ihnen zuhören und Ihnen den einen oder anderen Rat geben; also, wenn ich nun bitten darf.
Das kleine Fräulein Schneider hat den Kopf gesenkt, sie knickst vor dem Doktor wie ein Schulkind, gibt dem Max Dittrich die Hand, wirft ihm aber, ehe sie hinausgeht, noch einen kleinen, aber bedeutungsvollen, einen Verschwörerblick, zu, entfernt sich.
Gute Nacht, die Herren, sagt sie noch, ehe die Tür ins Schloss fällt.
Die Männer, allein geblieben, sie schweigen. Peinliche Stille webt im Raum. Dittrich hat sein Zahnputzglas weggestellt, er bietet dem Doktor einen Stuhl an.
Der Doktor seufzt und krault sich den Rauschebart. Tja, mein Lieber, sagt er, tja …
Und nach einer Max Dittrich unendlich scheinenden Minute fügt er an: Das sind natürlich Sachen, das sind so Sachen, jawohl, davon darf Ihre junge Frau natürlich nichts erfahren, nichts erfahren … und plötzlich mit einem Lächeln: Ich schweige natürlich, das ist klar!
Dittrich antwortet, er könne nichts dafür, wirklich, er sei wie ein Blinder in dieses Abenteuer getaumelt, er wäre von einem Abend bei den Mays zurückgekommen, einem Abend, bei dem er auch wegen seines Textes – er nickt dem Doktor zu, denn Klencke-Mannhart kennt den Text, sie haben lang und breit darüber gesprochen, haben hier im Sanatorium manchen Abend diskutierend zugebracht und der Arzt versprach sogar, als glühender May-Verehrer, eine Art Vorwort zu verfassen – wegen seines Textes einen Fortschritt gemacht habe, er könne ihm verraten, es werde eine Broschüre geben. Ein Zeitungsverleger habe Interesse gezeigt, ein Zeitungsverleger, gut, Karl habe noch große Bedenken, weil er dem Kerl nicht über den Weg traue, aber er, Dittrich, denke, es könnte klappen, sie würden sich einig, und immerhin zehn Pfennig bekäme er für die Zeile, oder achteinhalb wenigstens, wenn die Abzüge verrechnet seien, bedenken Sie, lieber Doktor, achteinhalb Pfennig, da käme ein Teil des Honorars für seine Kur sogar noch mit raus, da hätten Sie auch noch was davon, lieber Doktor. Ja, also, redet Dittrich weiter, und als er hier angekommen, ganz zufrieden und in bester und versöhnlicher Stimmung, da sei die kleine Schneider bei ihm hereingeplatzt und habe ihn wegen ihrer Gedichte genervt, aber, Dittrich senkt den Ton, da sei noch mehr. Das arme Kind leide fürchterlich unter dem Regime ihres Bruders, dieses Malers, Sie wissen, der May-Maler, er, Dittrich, habe ihr zugehört und sie getröstet, und er glaube, dass er sie weiter trösten müsse, denn dieses Familiendrama sei höchstwahrscheinlich die Ursache für all ihre Wehwehchen … aber, Doktor, flüstert Dittrich, weiter könne er nichts verraten, das verstehe sich von selbst … Familiengeheimnisse, und Psychologie, die pure Psychologie … Pst!
Dittrich hat den Finger vor den Mund gelegt.
Die Züge des Kurarztes haben sich bei den Worten seines Patienten Dittrich aufgehellt, besonders, als der von seinem Text und der Möglichkeit einer Broschüre und von den Tantiemen sprach, blitzten seine Augen auf, zitterte sein Bart und man konnte ahnen, dass hinter dem Gewirr aus grauem Barthaar ein Lächeln seinen Mund umspielt.
Tja, mein lieber Dittrich, sagt der Arzt, da freuen wir uns aber mit Ihnen. Diskretion ist Ehrensache und für mich als Kurarzt eine Selbstverständlichkeit. Indes, wissen Sie, warum ich zu so später Stunde hier erschienen bin? Wollen Sie die Wahrheit wissen, die Wahrheit wissen? Es war so: Ich sah bei Ihnen Licht, und ich wusste ja von Ihrem Ausgang nach Radebeul, und da dachte ich, Sie würden sowieso noch nicht gleich schlafen gehen, dachte natürlich nicht im Entferntesten, dass Sie Damenbesuch hätten, noch dazu, dass es die kleine Schneider wäre, noch dazu, dass die im Nachthemd bei Ihnen
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