Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Kärtchen vor jedem Platz aufgestellt. Schweigend bringt Klara die Kärtchen an ihre neuen Positionen. Fehsenfeld, schwäbisch versöhnlerisch, macht einen Scherz. Wie bei einer Fürstentafel oder zu einem Diplomatenessen, bei fünf Personen am Tisch wäre ein solcher Aufwand gar nicht nötig gewesen. Schließlich kenne man sich noch von Angesicht, oder? Keiner lacht. Der Verleger fängt einen Blick von seiner Paula ein und verstummt, schließt den Mund, als habe er eine Fliege verschluckt. Auch Klara hat mit ihrem Karl Blicke getauscht, dass er nicht neben Fehsenfeld sitzen will, kommt ihr übertrieben vor. Warum spielt er den Beleidigten? Noch weiß sie nicht, welches Ausmaß der Streit zwischen den Männern angenommen hatte, aber sie will die Harmonie des Besuches nicht stören lassen, sie preist die Speisen an, fragt, wie viel davon und was im Einzelnen jeder auf seinem Teller wünscht. Das Mädchen steht dienstbereit neben der Tür, wartet, helfen und auftragen zu dürfen. Auch sie sieht die gespannte Athmosphäre, wundert sich über ihren Herrn, was der für ein Gesicht macht, wo er sonst immer so ausgeglichen und fröhlich ist.
Das Abendessen vergeht einsilbig und wortarm. Den Wein will man drüben im Salon einnehmen. Man steht auf. Einer nach dem anderen. Karl May zuerst. Lauter als sonst scharren die Stühle über das Parkett, härter tapsen die Schuhe, Teller klirren, Besteck klingelt, sogar ein Glas ist beim Aufstehen umgefallen. Gott sei Dank ist es nicht zerbrochen. Oh, das wäre ein böses Omen gewesen.
Drüben im Salon verteilt sich die Gesellschaft auf Stühlen und Sesseln. Die Männer zünden sich Zigarren an. Noch immer wird kaum gesprochen.
Dann, May ist einen Augenblick nach draußen gegangen, kommt mit einem Packen Papier zurück. Mit einem mühsamen Lächeln, indem er die Blätter vor sich auf ein Tischchen legt und zu ordnen beginnt, sagt er, vielleicht trage, wenn er jetzt aus seinem neuen Werk, dem arabischen Drama „Babel und Bibel“ etwas vorlese, diese Lesung zur Stimmungsaufhellung bei. Es sei in gewissem Sinne auch eine Art Premiere. Eine Erstlesung. Man möge sich der Bedeutung dieser Stunde bewusst sein … Der Verleger Fehsenfeld macht ein Gesicht, als wüsste er, was ihn erwarte, doch er beherrscht sich, zieht die Augenbrauen hoch, zwingt sich zu einem Lächeln, hebt dann die Hand und sagt wie ein Conférencier: Aber bitte, mein Lieber – Achtung! Karl May, als Theaterautor – wir sind gespannt.
May, sich in Positur rückend, den Zwicker auf der Nase, beginnt. Er müsse zunächst, sagt er, ein Wort voranstellen, und nach dem letzten Gespräch mit seinem Verleger, wie es vor einer Stunde stattgefunden, erscheine ihm diese Erklärung doppelt geboten.
Paula Fehsenfeld blickt ihren Mann von der Seite an. Sie runzelt die Stirn und hält in ihren kleinen energischen Fäusten, zerknüllt, es knetend, ein Taschentuch. Fehsenfeld lächelt säuerlich, er nickt zustimmend zu den Worten seines Autors, zwingt sich zu den Worten:
Wir hören, Verehrtester! Wir spitzen die Ohren … Dora schaut zu ihrem Vater, und wie ihre Mutter wird sie rot, sie senkt ihr rotblondes Lockenköpfchen. Manchmal schämt sie sich ihres Vaters. Wie er den lieben Onkel May provoziert, das gefällt ihr nicht.
May, von all dem ungerührt, sagt: Alles, was er bis jetzt geschrieben habe, und alles, was er noch schreiben werde, sei seinem einzigen Idealgedanken gewidmet, nämlich, dass sich der Gewaltmensch in den Edelmenschen zu verwandeln habe, und dass dies nur auf dem Wege der Gottes- und Nächstenliebe, wie sie uns unser Herr Jesus Christus lehrte, geschehen könne … diesen Grundgedanken verkörpere sein Drama auf das Intensivste.
Hören Sie also … und mit einer gewissen Feierlichkeit beginnt er. May ist ein guter Vorleser, väterlich und gütig wirkt er dabei, und sein Vergleich von einem arabischen Hakawati, als der er sich fühle und den er selber gewählt hat, dieser Vergleich ist tatsächlich zutreffend, mühelos könnte man ihn auf einen Basar in Bagdad oder Damaskus versetzen, ihn sich mitten unter einer bunt gemischten Schar von Kindern, Greisen und Frauen vorstellen, seine tiefblauen Augen verströmen beim Lesen einen eigenartigen Glanz, er versteht es, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, sie für sich und für seine Geschichte zu gewinnen, er gibt selbst ganz banalen, ganz alltäglichen Szenen eine eigene Spannung, manchmal lispelt er ein wenig und wenn man genau hinhört, schlüpfen ihm hin
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