Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
zugehört, sich sogar Notizen in sein kleines Lederbüchlein geschrieben, ab und zu hat er verstohlene Blicke mit seiner Frau Paula gewechselt, dann zu Klara geschaut, die, anders kann es nicht gesagt werden, in echter oder gespielter Verklärung auf ihrem Stuhl sitzt, wie versteinert, den Blick unverwandt auf ihren Karl geheftet. Nun aber, die Standuhr, die man weiterticken ließ, hat die neunte Stunde eingeläutet, es sind also fast zwei Stunden vergangen, nun spürt Fehsenfeld, dass sich eine bleierne Müdigkeit auf ihn herabsenkt. Er kann beim besten Willen die Augen nicht mehr offen halten, er ist müde, so furchtbar müde, und es geschieht einfach nichts in diesem zähen, fremdartigen Text, nichts, was ihm Spannung oder Interesse erzeugte, ewig diese Sprüche aus der islamischen Religion, die Moralthesen, als ob sie aus dem Koran oder der Bibel abgeschrieben wären … öde, einfach öde und ermüdend, so furchtbar ermüdend.
Fehsenfeld gähnt, er verändert die Sitzposition, sein Stuhl knarrt. May fährt hoch. Und mit einem Mal ist er ein anderer. Mit einem bösen Blick auf seinen Verleger sagt er, nun gut, nun wolle er es bewenden lassen, er habe die Ausschnitte gelesen, die bis jetzt fertig geschrieben wären, vielleicht sei die geistige Anstrengung aber zu groß für seine Zuhörer. Indes, ein paar Erläuterungen wolle er zum Schluss noch anfügen, damit das erlahmte Verständnis wieder ein wenig angefacht werde, damit nun auch der Dümmste und Unbedarfteste begreife, worum es ihm in seinem Drama ginge …
Ein paar kleine Bewegungen gehen durch die Zuhörer, indes wagt keiner einen Protest, keiner fragt oder sagt etwas, auch keinen Beifall wagt man, selbst Klara sitzt noch immer wie versteinert, einer Eidechse auf einem Stein gleich, und sie scheint wie jene auf eine Fliege auf den zu erwartenden Protest zu lauern, oder darauf, dass Fehsenfeld endlich, endlich die Beherrschung verlässt. Paula Fehsenfeld und ihre Tochter zupfen an ihren Kleidern, man sieht, sie fühlen sich nicht wohl, aber auch sie rühren sich nicht von ihren Plätzen, eingeschüchtert schauen sie, von dem ungewohnten Text überfordert, und Fehsenfeld selber, dessen Müdigkeit sich für den Moment davongemacht hat, bleibt still und erwartungsvoll auf seinem Platz, nur ein klein wenig rückt er noch einmal nach links, sein rechter Oberschenkel kribbelt ihm, er scheint ihm eingeschlafen. Oh, der harte Stuhl! Nein, er will seinem Autor jetzt noch nicht sagen, wie sehr ihm der vorgetragene Text missfallen hat, für wie wenig aussichtsreich er ihn hält, ja für misslungen geradezu, er will sich noch ein bisschen zurückhalten, um vielleicht am Schluss in einem individuellen Gespräch dem Alten auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: Daneben, mein Lieber! Geben Sie es auf. Das wird Ihnen keiner machen, das bleibt ein Ladenhüter. Schade. Und vielleicht wird er ihm dann noch einen Scheck für den Maler in die Hand drücken, damit seine Illustrationen doch noch Tat würden, mit Geld, das glaubt er, mit Geld hat er bei seinem May noch alles hinbekommen. Und der Schneider erst, der arme Schlucker ist dankbar für jede Mark. Der Verleger tastet in die Innentasche seines Jacketts, fühlt den Umschlag, fühlt das Papier und lächelt, lächelt zufrieden, wie einer, der sich seines Erfolges sicher ist. Klara, die ihn in diesem Moment beobachtet hat, sieht dieses Lächeln, missdeutet es aber, denkt, vielleicht sei dieser Schwabe doch kein so übler Kerl, vielleicht könne er mit Karls Stück doch etwas anfangen, befördere es, hülfe ihm auf die Bühnen, auf die Theaterbühnen der Welt.
May, wieder ganz der Prediger, sagt indes: Er verstehe in seinem Stück unter „Gewalt“, Gewalt, wie sie seinem Abu Kital ausgetrieben werden soll, auch alle strukturelle, die geistliche und die gesetzgeberische Gewalt jener kleinen und großen Tyrannen, der Autokraten und der Wahrheitsbesitzer: Ein Gewaltmensch sei ein jeder, der sich auf seinem Sondergebiet so benehme, als ob er der alleinige und bevorzugte Besitzer des betreffenden Rechtes oder des betreffenden Gutes sei … May schießt einen schnellen Blick zu seinem Verleger, doch der tut, indem er wieder sein Notizheftchen gezückt hat, als sei er intensiv damit beschäftigt, jedes der May’schen Worte niederzuschreiben.
May fährt fort: Mit der Hoffnung auf „Frieden“ meine er, als der Verfasser, folgerichtig, ein neues Gesamtverhalten der ganzen menschlichen Gesellschaft: Auch der ökologische
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