Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
Vom Netzwerk:
das muss man ihm lassen… die Sängerin schaut in den Wandspiegel, ein Griff an die Schläfen, mit flinken Fingern in den Nacken, oh da, zwei Haarnadeln sind lose.
    Man geht in den Salon. Hinter der Toilettentür rauscht Wasser. Der Pollmer’sche Salon – ein behaglicher Raum, wenn auch ein wenig vollgestopft mit allerlei Krimskrams und Nippes:
    Vasen, große und kleine, Porzellanfigürchen, ein silberner Hirsch, gehäkelte Deckchen. Spitzendeckchen aus Plauen. An den Wänden ein paar Fotografien: Emma mit Karl – Emma mit den Hunden Seelchen und Geistchen – Emma mit Karls Schwester Karoline. Alles in polierten schwarzen Holzrahmen, natürlich mit Passepartout. Großformatig. Beeindruckend. Auch auf dem Vertiko ein paar Fotografien, allerdings nur postkartengroß und im Papprahmen, daneben Karls erste Bücher von Fehsenfeld, nicht mehr als drei oder vier, „Winnetou – der rote Gentleman“, „Der Karawanenwürger“, „Durch Wüste und Harem“, ein paar Hefte vom „Guten Kameraden“. Alles in allem nur wenig Literarisches. Verlegen wirken die Schriften, wie absichtsvoll hingelegt, verschämte Alibis.
    Auf einem runden Tisch, der mit einer schweren grünen Samtdecke belegt ist, steht ein Kaffeeservice, mit Goldrand, Weinlaubmuster, teures und echtes Porzellan, Hutschenreuther von 1892, in der Mitte ein Teller mit Kuchen, Quarkkuchen, Apfelkuchen, Eierschecke, alles selbst gebacken, aufgeschnittene Äpfel, Sahnekännchen, Zuckerdose, drei Silberlöffel.
    Emma, die den Blick der Sängerin sieht, sagt mit trüber Stimme, setzen Sie sich nur an die Fensterseite wie immer, liebe Selma – ja, er hat mir das Hochzeitsservice gelassen, und meine Möbel. Vielleicht mit Absicht. Ich soll weinen. Denn wenn ich all die Sachen sehe, kommen mir die Tränen. Entschuldigen Sie, ich muss immer davon anfangen, entschuldigen Sie … ach, da kommt Marie, dort dein Platz, meine Liebe, links neben der Selma, setz dich nur hin.
    Ich hol gleich den Kaffee.
    Sie saßen eine Weile schweigend, das heißt, nicht ganz schweigend, denn der Kuchen wurde gelobt und der Kaffee und das milde Wetter und der kleine gelbe Kanarienvogel „Karlchen“, der in einem runden Käfig am Fenster saß, umherhüpfend zwirbelte und herzzerreißend sang. Aber es gab kein wirkliches Gespräch, im Gegenteil, es schien, als ob die Gastgeberin wie auch ihre Freundinnen irgendeine Sache, von der sie alle wüssten und auf deren Zur-Sprache-Bringen eine jede gespannt wartete, vor sich herschöben und sie allesamt nur darauf aus waren, dass sich endlich die Gelegenheit fände, eben diese Sache anzusprechen, um in Rede und Gegenrede die Argumente zu schärfen, ein richtig ernsthaftes Damengespräch zu führen. Die Damen belauerten sich, wer würde zuerst den Mund aufmachen, das erlösende Stichwort geben …
    Am Gespanntesten war die junge Sängerin. Mit jedem Kuchenbiss, mit jedem Schluck Kaffee stieg ihre Ungeduld. Das war doch nicht zum Aushalten. Man sitzt hier um den Tisch, redet von den Kuchenzutaten und den Kaffeepreisen, dachte sie, und in Wahrheit gibt es ungeheuer Wichtiges zu bereden, muss der guten Emma aus ihrer Not geholfen werden.
    Schließlich hält sie es nicht mehr. Unser zweiter Kapellmeister, wisst ihr, der Röder, er stammt aus Oberroßla, ganz einfache Verhältnisse, die Eltern sollen da eine Gastwirtschaft haben, unser Willibald Röder also, der hat sich jetzt, nach sage und schreibe zwanzig Jahren, von seiner Frau getrennt, es wird gemunkelt, eine aus dem Chor … na ja. Jedenfalls war seine Frau nicht so ohne Weiteres einverstanden, auch hatte sie einiges Vermögen in die Ehe gebracht. Sie nahm sich einen Anwalt und unser Röder kam in schwere Nöte. Nun ist der Röder kein übler Kerl, wir alle haben ihn gern, während seine Frau, eine hochnäsige Person und vollkommen unmusikalisch, sie war in all den Jahren vielleicht nur drei Mal in der Oper, kurz und gut, der Orchesterdirektor, der von der Sache Wind bekam und der in allen Rechtssachen beschlagen ist und eine Menge Leute kennt, dieser Orchesterdirektor, Karl Eugen von Papendieck mit Namen, nahm eines Tages unseren Röder beiseite und empfahl ihm einen bekannten Rechtsanwalt. Und was soll ich euch sagen … die Sängerin klopfte mit dem Silberlöffel bekräftigend an ihre Untertasse, vielleicht auch um Emmas Aufmerksamkeit, die auf einmal wieder ängstlich, sehr verlegen und wie abwesend wirkte, etwas anzustacheln – dieser Anwalt, ein gewisser Dr. Neumann, hier in Weimar

Weitere Kostenlose Bücher