Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Leben solle es auch im Geschäftsleben zugehen. Eine kleine Unzufriedenheit mache da wenig aus, wenn sie nur gleich verteilt sei. Der eine solle gerade so unzufrieden sein wie der andere, dann sei alles im Lot. Nur dürfe der eine nicht hochzufrieden und der andere nicht abgrundtief übervorteilt sein. May lehnt sich zurück, faltet die Hände vor dem Bauch, jovial, zufrieden, ein freundlicher Gastgeber.
Noch Tee? Oder jetzt doch lieber Kaffee?
Fischer macht eine kleine Geste. Nein, er will jetzt kein Getränk. Natürlich haben Sie recht, mein Lieber, antwortet er, eine Binsenweisheit – der eine soll immer gerade so zufrieden sein wie der andere, nur in unserem Fall sind die Ausgangspositionen, die Startpositionen wie beim Pferderennen, nicht gleich verteilt. Sie sind in besserer Position, haben ein größeres Polster, besonders im Finanziellen, als ich. Es ist gerade so, als ob ein edler Araberhengst, oder nehmen Sie gleich Ihren Hengst Hatatitla, als ob der gegen ein Shetlandpony oder einen Esel anträte.
Ha, ha, lacht May, das mit dem Esel haben Sie gut gesagt, Verehrtester, ein toller Vergleich, aber das können Sie mir nicht vorwerfen. Das haben Sie gesagt – nicht ich. Fischer hebt abwehrend die Hände, er lächelt, aber dieses Lächeln sieht gequält aus. Reden wir ernsthaft, lieber May, nehmen wir Ihren „Verlorenen Sohn“. Er hat mich bei der Übernahme eine Menge Geld gekostet. Wie viel? fragt May ein wenig atemlos, sagen Sie, wie viel hat die alte Kolportageprincess Pauline dafür verlangt? Ich bitte Sie. Das ist eine Frage der Fairness, damit die Dimension klar ist, von der wir reden. Also bitte.
Doch Fischer windet sich, nicht nur in Worten, nein, sein ganzer rundlicher Körper biegt und wellt sich, bis in die Haarspitzen errötet er. Er wisse das nicht mehr so genau, stammelt er, er habe ja damals alles im Ganzen bezahlt, die einzelnen Posten habe er nicht mehr im Kopfe. Aber, wie er ihm schon damals in Schleyers Weinstuben gesagt habe, sei die ganze Münchmeyerei mit einhundertfünfundsiebzigtausend Mark bar bezahlt worden, all seine Ersparnisse seien damals draufgegangen und bis heute seien noch knappe fünfzigtausend Schulden dazugekommen. Er stehe vor dem Ruin. Inzwischen sei ihm beinahe jedes Geschäft recht und sein Ruf kümmere ihn schon lange nicht mehr. Und allein schon deshalb müsse er den „Verlorenen Sohn“ jetzt herausbringen. Koste es, was es wolle. Aber er, May, wisse natürlich, was das bedeute. Mit diesem Schundroman sei sein Ruf endgültig dahin, da brauche er noch nicht einmal etwas von seinem Vorleben zu erzählen.
Mays Fragen nach den Kosten hatten Fischer in Rage gebracht. Er wollte nicht gerne darüber reden, es rührte an seine Niederlagen, aber er würde es dem May schon zeigen, diesem kleinen, aufgeblasenen Kerl …
May indes hielt es nun nicht mehr auf seinem Stuhl, er gab seine väterlich wohlwollende Art schlagartig auf, sprang vor den grienenden Fischer hin und rief: Dieses Buch ist kein Schundroman! Das wissen Sie genauso wie ich. Er ist so geschrieben, dass ihn ein jeder lesen kann, ohne Bedenken, selbst ein vierzehnjähriges Kind oder ein Greis oder eine Betschwester oder ein prinzipienfester Gymnasiallehrer. Mays Unterlippe zitterte, wie sie es immer tat, wenn er erregt war. Er stand breitbeinig vor Adalbert Fischer, die Hände in die Hüften gestützt, entschlossen, kampfbereit.
Fischer lehnte sich auf seinem Polsterstuhl zurück, streckte die Beine aus, zog die Schuhspitzen zu sich heran, betrachtete sie lächelnd. Wenn ich, mein lieber guter May, jetzt noch etwas hineinschreiben lasse, was die Verkaufszahlen steigert, eine kleine Schweinerei zum Beispiel oder irgendeine Blasphemie – was wollen Sie dagegen tun? Ich behaupte einfach: Das hat der May geschrieben – und fertig. Da stehen Sie da, mein Lieber.
Fischer sah überlegen auf den vor ihm stehenden May. Er griente in seiner frechen, anmaßenden Art, während May, rot im Gesicht jeden Moment, zu explodieren schien. Ängstlich schaute Klara herüber, sie kannte Karls Jähzorn. Wenn er sich nur in der Gewalt hat, dachte sie. Ja, da stehen Sie da, schrie Fischer mit seiner schrillen, hohen Stimme und man wusste nicht, würde er einen Lachanfall kriegen oder zu toben beginnen, da würden Sie dastehen, mein Lieber, fuhr er fort, aber nicht mehr so breitbeinig wie jetzt, sondern ziemlich wacklig würden Sie dastehen. Bedenken Sie das.
Eine kleine Pause entstand. Wie ein Gasgemisch hatte sich der
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