Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
genau ist dein Problem?«
»Ich habe keine Lust, dir davon zu erzählen. Du musst mir einfach vertrauen.«
»Wie früher, als wir noch klein waren …«
»Genau.«
Joséphine sah hinaus auf die vorbeifliegende Landschaft und schwieg.
»Jo, ich flehe dich an, tu es für mich! Was hast du denn schon zu verlieren?«
»Ich denke nicht in solchen Begriffen …«
»Ach, hör doch auf. Tu nicht so, als wärst du selbst so rein und unschuldig wie Quellwasser und hättest mir nie etwas verschwiegen! Ich habe erfahren, dass du heimlich für Philippes Kanzlei gearbeitet hast, ohne mir etwas davon zu erzählen. Findest du das etwa gut? Du hast Heimlichkeiten mit meinem Mann!«
Joséphine lief rot an.
»Philippe hatte mich gebeten, niemandem etwas davon zu sagen«, stammelte sie, »und weil ich Geld brauchte …«
»Siehst du, genau wie bei mir: Ich bitte dich, niemandem etwas davon zu sagen, und gebe dir das Geld, das du brauchst …«
»Es war mir sehr unangenehm, dir etwas zu verheimlichen.«
»Aber du hast es trotzdem getan! Du hast es getan, Joséphine. Das heißt, für Philippe bist du dazu bereit, aber nicht für mich? Deine eigene Schwester!«
Joséphines Widerstand bröckelte, und Iris spürte es. Ihr Ton wurde sanfter, beinahe flehentlich, und ihre Augen, die unverwandt auf ihre Schwester gerichtet waren, füllten sich mit stummer Zärtlichkeit.
»Hör zu, Jo! Du würdest mir damit einen Gefallen tun. Einen riesigen Gefallen! Mir, deiner Schwester … Ich war immer für dich da, ich habe mich immer um dich gekümmert, ich habe dich nie im Stich gelassen, wenn du etwas brauchtest. Knick und Knock … weißt du nicht mehr? Seit unserer Kindheit … Ich bin deine einzige Familie. Außer mir hast du niemanden mehr! Keine Mutter, denn ihr trefft euch nicht mehr, und sie ist WIRKLICH schlecht auf dich zu sprechen, keinen Vater, keinen Mann … Du hast nur noch mich.«
Joséphine erschauerte und schlang die Arme um ihren Oberkörper.
Einsam und verlassen. In der Euphorie des ersten Schecks hatte sie geglaubt, die Aufträge würden von nun an nur so auf sie einprasseln, doch sie hatte feststellen müssen, dass dem nicht so war. Der Mann, der ihr zu ihrer ausgezeichneten Arbeit gratuliert hatte, hatte nicht mehr angerufen. Am 15. Januar würde sie die nächste Rate bezahlen müssen. Dann am 15. Februar und am 15. März, am 15. April, am 15. Mai, am 15. Juni und am 15. Juli … Von den Zahlen schwirrte ihr der Kopf. Die schwarze Last des drohenden Unheils stürzte auf sie herab, und ein Schraubstock schloss sich um ihre Brust. Sie bekam keine Luft mehr.
»Und außerdem«, fuhr Iris, die Joséphines sorgenvollen Blick bemerkte, fort, »geht es hier nicht um einen kleinen Betrag! Ich spreche von mindestens fünfzigtausend Euro!«
Vor Überraschung entfuhr Joséphine ein Aufschrei.
»Fünfzigtausend Euro!«
»Fünfundzwanzigtausend Euro, sobald ich die ersten zwanzig Seiten und ein Exposé mit dem Aufbau der Geschichte abgegeben habe …«
»Fünfzigtausend Euro!«, wiederholte Joséphine, die ihren Ohren nicht traute. »Ist dein Verleger verrückt geworden?«
»Nein, er ist nicht verrückt. Er denkt nach. Er rechnet und kalkuliert. Die Herstellung eines Buchs kostet achttausend Euro; ab fünfzehntausend verkauften Exemplaren macht er Gewinn. Herstellungskosten und Vorschuss inbegriffen. Und er sagt, hör mir gut zu, Jo … er sagt, mit meinen Beziehungen, meinem Auftreten, meinen schönen blauen Augen und meiner Schlagfertigkeit werde ich die Medien begeistern, und das Buch wird auf einer Welle des Erfolgs reiten! Das hat er gesagt – wörtlich!«
»Ja, aber…«, protestierte Joséphine, deren Widerstand immer schwächer wurde.
»Du schreibst es … Du kennst diese Zeit in- und auswendig, du wirst mit den historischen Gegebenheiten spielen, den typischen Details der Epoche, dem Wortschatz, den Figuren … Es wird dir Spaß machen! Für dich ist das doch ein Kinderspiel. Und in sechs Monaten, hör mir gut zu, Jo, in sechs Monaten kassierst du fünfzigtausend Euro! Dann brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen und kannst dich
ganz beruhigt wieder deinen alten Pergamenten, deinen Gedichten von François Villon, deiner Langue d’oïl und deiner Langue d’oc zuwenden.«
»Du bringst alles durcheinander!«, schimpfte Joséphine.
»Du glaubst gar nicht, wie egal mir das ist. Ich brauche nur für das einzustehen, was du geschrieben hast! Wir ziehen das einmal durch, und danach reden wir nie
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