Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
Vom Netzwerk:
protestiert.
    Doch Iris hatte darauf bestanden, und Jo hatte einmal mehr nachgegeben.
    Und jetzt musste sie schreiben.
    Sie musterte den hübschen weißen Laptop, der sie mit aufgesperrtem Maul auf dem Küchentisch erwartete, umgeben von Büchern, Rechnungen, Filzstiften, Kugelschreibern, Papier und den Krümeln vom Frühstück; ihr Blick glitt über den gelben Ring, den die Teekanne auf der Tischplatte zurückgelassen hatte, den Deckel der Aprikosenmarmelade, eine zur weißen Schlange zusammengedrehte Serviette … Sie musste erst einmal Platz schaffen, ehe sie anfangen konnte
zu schreiben. Sie musste ihre Habilitationsschrift zur Seite legen. Sie musste noch so vieles, so vieles … Beim Gedanken an die Aufgabe, die vor ihr lag, fühlte sie sich plötzlich unendlich müde und seufzte. Wie sollte sie sich für ein Thema entscheiden? Wie die Figuren entwerfen? Die Geschichte? Überraschende Wendungen? Ergaben sie sich aus äußeren Einflüssen oder aus der Entwicklung der Figuren? Wie fing man ein Kapitel an? Wie wurde es strukturiert? Sollte sie ihre wissenschaftlichen Arbeiten, ihre Forschungsergebnisse plündern, die Bravour von Rollo, Wilhelm dem Eroberer, Richard Löwenherz und Heinrich II. heraufbeschwören, den Geist von Chrétien de Troyes bitten, sich auf sie herabzusenken? Oder sollte sie sich von Shirley, von Hortense, von Iris inspirieren lassen, von Philippe, von Antoine und von Mylène, ihnen einen Topfhelm oder eine burgundische Haube aufsetzen, ihnen Schnabelschuhe oder Holzpantinen anziehen, sie auf einem Bauernhof oder in der Burg wohnen lassen? Der Rahmen wechselt, doch das Auf und Ab der Herzen bleibt. Das Herz schlägt immer gleich, sei es bei Eleonore, Scarlett oder Madonna. Tournürenkleider und Kettenhemden zerfallen zu Staub, aber die Gefühle bestehen weiter. Wie soll ich anfangen?, fragte sich Joséphine wieder und wieder, während sie zusah, wie das Januarlicht in der Küche allmählich fahler wurde, den Rand des Spülbeckens mit einem matten Glanz überzog und schließlich im Abtropfgitter erstarb. Gibt es ein Rezept fürs Schreiben? Fünfhundert Gramm Liebe, dreihundertfünfzig Gramm Intrigen, dreihundert Gramm Abenteuer, sechshundert Gramm historischer Hintergrund, ein Kilo Schweiß … Das Ganze auf kleiner Flamme köcheln lassen, im Ofen backen, umrühren, sautieren, damit nichts anbrennt, Klümpchen vermeiden und das Ergebnis drei Monate, sechs Monate, ein Jahr ruhen lassen. Stendhal soll Die Kartause von Parma in nur drei Wochen geschrieben haben, Simenon brachte seine Romane innerhalb von zehn Tagen zu Papier. Aber wie lange hatten sie sie vorher mit sich herumgetragen und sie reifen lassen, während sie morgens aufstanden, ihre Hose anzogen, Kaffee tranken, die Post hereinholten, zusahen, wie das Morgenlicht sich über den Frühstückstisch breitete, oder die Staubkörner im Sonnenstrahl zählten? Man muss die Zeit ihre Wirkung entfalten lassen. Seine eigene Arbeitsweise finden. Kaffee trinken wie Balzac. Im
Stehen schreiben wie Hemingway. Zurückgezogen wie Colette, wenn Willy sie einschloss. Recherchieren wie Zola. Zu Opium greifen, billigem Rotwein, Haschisch. Herumbrüllen wie Flaubert. Laufen, wirres Zeug reden, schlafen. Oder überhaupt nicht schlafen wie Proust. Und ich? Die Wachstuchdecke auf dem Küchentisch, Auge in Auge mit dem Spülbecken, die Teekanne, das Ticken der Uhr, die Frühstückskrümel und die fälligen Raten! Von Léautaud stammt der Satz: »Schreiben Sie, als schrieben Sie einen Brief, lesen Sie das Geschriebene nicht noch einmal durch, ich mag keine große Literatur, ich mag nur geschriebene Konversation.« Wem könnte ich einen Brief schreiben? Ich habe keinen Liebhaber, der im Park auf mich wartet. Ich habe keinen Mann mehr. Meine beste Freundin wohnt gleich nebenan.
    Ich könnte einen Mann erfinden, dem ich schreiben würde … Einen Mann, der mir zuhören würde. Der Laptop riss immer noch sein Maul auf. Iris hatte ihn einen Tag nach ihrer Ankunft in Megève gekauft. Wenn ich meine Finger auf die Tastatur lege, beißt er sie mir ab. Sie lachte ein leises, nervöses Lachen und erschauerte.
    »Hast du ihn von deinem Honorar für die Übersetzungen gekauft?«, hatte Philippe dicht über ihrem Haar gemurmelt, und Jo war heftig errötet. Iris war gerade dabei, ein Feuer im Kamin zu machen. »Ich bin begeistert von meiner neuen Mitarbeiterin«, hatte er hinzugefügt und sich wieder aufgerichtet, »beim Massipow-Vertrag hast du uns vor einem gewaltigen

Weitere Kostenlose Bücher