Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
seinen Bizeps befühlt. Er war inzwischen bei fünfzig Liegestützen angekommen, morgens und abends. »Streng dich noch ein bisschen an, dann kommst du vielleicht auch in Frage, Zwerg!« Shirley hatte sie wütend angefunkelt. Sie ertrug es nicht, dass jemand ihren Sohn als Zwerg bezeichnete.
An diesem Morgen war Zoé ohne anzuklopfen zu ihnen ins Schlafzimmer gekommen. Antoine hatte ihr bedeutet, dass sie leise sein solle, und sie waren zusammen nach draußen gegangen.
Einträchtig schlenderten sie umher. Antoine zeigte Zoé die Farm. Nannte ihr den Namen eines Baums, eines Vogels. Zuvor hatte er sie sorgfältig mit Sonnencreme eingerieben und ihr einen großen Hut aufgesetzt, um sie vor der Sonne zu schützen. Sie verscheuchte eine Fliege und seufzte.
»Bleibst du lange hier, Papa?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Wenn du alle Krokodile umgebracht und in Konservendosen gefüllt oder zu Handtaschen verarbeitet hast, dann kannst du doch wieder weg, oder?«
»Dann gibt es neue Krokodile. Sie bekommen doch Junge …«
»Und die Jungen bringst du dann auch um?«
»Das muss ich …«
»Sogar die Babys?«
»Ich warte, bis sie groß sind … Aber vielleicht warte ich auch nicht. Vielleicht habe ich bis dahin eine neue Arbeit gefunden.«
»Mir wäre es lieber, wenn du nicht wartest. Wie lange dauert es denn, bis ein Krokodil groß ist?«
»Zwölf Jahre …«
»Dann wartest du nicht, Papa! Einverstanden?«
»Wenn sie zwölf Jahre alt sind, suchen sie sich ein eigenes Revier und ein Weibchen.«
»Also ein bisschen so wie bei uns?«
»Ja, du hast recht, ein bisschen so wie bei uns. Die Krokodilmama legt ungefähr fünfzig Eier, die sie drei Monate lang ausbrütet. Je wärmer es im Nest ist, desto mehr männliche Junge bekommt sie. Das ist anders als bei uns.«
»Und dann hat sie fünfzig Babys!«
»Nein, denn manche von ihnen sterben im Ei, und andere werden von Räubern gefressen. Von Mangusten, Schlangen oder Silberreihern. Die warten, bis die Mutter kurz fort ist, und plündern dann das Nest.«
»Und wenn sie geboren sind?«
»Dann nimmt die Krokodilmama sie ganz vorsichtig ins Maul und setzt sie ins Wasser. Sie bleibt einige Monate, manchmal auch ein bis zwei Jahre bei ihnen, um sie zu beschützen, aber ihr Futter suchen sie sich schon allein.«
»Das sind aber viele Kinder, um die sie sich kümmern muss!«
»Neunundneunzig Prozent der Krokodilbabys sterben, wenn sie noch ganz klein sind. Das ist das Gesetz der Natur …«
»Und ist ihre Mama dann traurig?«
»Sie weiß, dass es nun mal so ist … und sie kämpft für die Überlebenden.«
»Aber sie ist doch bestimmt trotzdem traurig. Sie scheint eine gute Mama zu sein. Sie gibt sich viel Mühe. Genau wie unsere Mama, die gibt sich auch sehr viel Mühe für uns. Sie arbeitet so viel …«
»Du hast recht, Zoé, deine Mama ist wunderbar.«
»Warum bist du dann weggegangen?«
Sie war stehen geblieben, hatte die Krempe ihres Huts angehoben und sah ihn ernst an.
»Das ist ein Erwachsenenproblem. Wenn man klein ist, glaubt man, das Leben sei einfach und logisch, aber wenn man größer wird, merkt man, dass es in Wahrheit komplizierter ist … Ich liebe deine Mutter über alles, aber …«
Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Er stellte sich die gleiche Frage wie Zoé: Warum war er weggegangen? Als er die Mädchen neulich abends zurück nach Hause gebracht hatte, wäre er liebend gern bei Joséphine geblieben. Er hätte sich ins Bett gelegt, wäre eingeschlafen, und das Leben wäre endlich wieder weitergegangen, so beruhigend und friedlich wie früher.
»Es muss ziemlich kompliziert sein, wenn du es nicht mal selbst weißt … Ich würde am liebsten nie erwachsen werden! Dann hat man nur Ärger. Vielleicht kann ich ja groß werden, aber nicht erwachsen …«
»Das ist das Schwierige daran, Schatz: Man muss lernen, ein erwachsener und guter Mensch zu werden. Es dauert Jahre, bis man das geworden ist, und manche werden es auch nie … Oder sie erkennen zu spät, dass sie eine Dummheit gemacht haben.«
»Wenn du mit Mylène im selben Bett schläfst, bleibst du dann angezogen?«
Antoine zuckte zusammen. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. Er griff erneut nach der Hand seiner Tochter, doch sie machte sich von ihm los und wiederholte ihre Frage.
»Warum willst du das wissen? Ist das wichtig?«
»Machst du Sex mit Mylène?«
»Also wirklich, Zoé«, stotterte er, »das geht dich nichts an!«
»Doch! Denn wenn du Sex mit ihr
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