Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
hautstraffende Creme, Creme gegen Fettpölsterchen. Chefs auf dem Beckenrand ausgebreitetes Schönheitsarsenal schien sie zu verhöhnen.
Sie schrie auf: Chef hatte eine Geliebte! Chef turtelte in der Gegend herum! Chef stürzte sich in Unkosten! Chef schlich sich nachts heimlich fort!
Sie ging in die Küche und leerte die Flasche Bordeaux Grand Cru, die sie zum Abendessen geöffnet hatte.
In dieser Nacht tat sie kein Auge zu.
Und dieses Märchen, das er ihr beim Frühstück aufgetischt hatte, bestätigte ihren Verdacht.
Sie musste dringend Erkundigungen einziehen. Als Erstes würde sie zu Chefs Büro fahren, um zu sehen, ob er tatsächlich dort war. Sie würde seine Post und seinen Bürokalender durchsuchen, herausfinden, mit wem er Termine hatte, und die Scheck- und Kreditkartenbelege kontrollieren. Dazu musste sie an dieser kleinen Kröte Josiane vorbei. Aber halt, heute war doch der 1. Mai. Die Büros sind leer, und ich kann in aller Ruhe in Chefs Unterlagen herumstöbern! Ich muss nur aufpassen, dass mich dieser Esel René und sein Flittchen von Frau nicht erwischen, die beiden Schwachköpfe, die von Marcels Geld leben wie die Maden im Speck. Marcel Grobz! Was für ein abscheulicher Name! Wenn ich bloß daran denke, dass ich auch so heiße, schimpfte sie vor sich hin, während sie prüfte, ob die Hutnadel auch fest saß.
Was nimmt man nicht alles auf sich, um seine Kinder großzuziehen! Man opfert sich auf dem Altar der Mutterschaft. Iris zeigte sich wenigstens noch dankbar, war freundlich und umgänglich, aber Joséphine! Eine Schande! Und aufmüpfig noch dazu! Holt mit vierzig ihre Pubertät nach, wie lächerlich! Was soll’s, wir sehen uns nicht mehr, und das ist auch besser so. Ich konnte sie nicht mehr ertragen! Dieses mittelmäßige Leben, das sie sich gewählt hat: einen Trottel von Mann, eine Wohnung in einem Vorstadthochhaus und ein jämmerliches Gehalt als unbedeutende Dozentin. Was für ein Erfolg! Einfach lachhaft. Nur die kleine Hortense legte ein wenig Balsam auf ihre Wunden. Die war ein richtiges junges Mädchen, gute Haltung, ordentliches Auftreten und ehrgeizigere Pläne als ihre bemitleidenswerte Mutter!
Sie zog ihren Hals lang, um die Falten zu glätten, kniff die Lippen zusammen, verließ die Wohnung und drückte auf den Knopf für den Fahrstuhl.
Als sie an der Loge der Concierge vorbeikam, nickte sie ihr mit einem strahlenden Lächeln zu. Die Concierge tat ihr zahlreiche Gefallen, und Henriette legte großen Wert darauf, sich ihre Freundschaft zu erhalten.
Wie so viele Menschen war auch Henriette Grobz unausstehlich zu ihren nächsten Angehörigen und freundlich zu jedem Dahergelaufenen. Weil sie glaubte, die Menschen, mit denen sie zusammenlebte, könnten ihr nicht mehr von Nutzen sein, und Selbstlosigkeit, Liebe oder Großzügigkeit ihr vollkommen fremd waren, gab sie sich keine Mühe mehr und quälte ihre Verwandten mit einer brutalen, erbarmungslosen Tyrannei, um sie weiter unter Kontrolle zu halten. Trotzdem dürstete ihr Herz nach süßen Schmeicheleien, Schmeicheleien, die sie nur von vollkommen Fremden erwarten konnte, die nichts von den Abgründen ihrer Seele ahnten und sie für eine charmante, bewundernswerte Frau hielten. Sie berauschte sich an den guten Eigenschaften, die man ihr zuschrieb, und wurde nicht müde, auf die zahllosen Menschen zu verweisen, die sie so unglaublich schätzten, die sich für sie in Stücke reißen lassen würden, die sie so vornehm, so wunderbar, so großartig fanden … Sie gab sich größte Mühe, die Achtung dieser Menschen zu gewinnen, während sie ihre nächsten
Angehörigen, allen voran ihre Tochter Joséphine, im Verdacht hatte, die Leere in ihrem Herzen durchschaut zu haben. Unablässig strebte sie danach, den Respekt von Fremden zu erwerben und den Kreis, in dessen Zentrum sie stand, zu vergrößern. Aus jedem Gefallen, den sie einem vollkommen Fremden tat, zog sie eine Selbstachtung, die sie in ihrer hohen Meinung von sich selbst bestätigte.
Auch die Concierge gehörte zu ihrem Hofstaat. Henriette schenkte ihr ihre abgetragenen Kleider und versicherte ihr, sie stammten von den größten Couturiers. Sie steckte ihrem Sohn, der ihr die Päckchen hochtrug, wenn sie schwer beladen nach Hause kam, dafür einen Geldschein zu und erlaubte dem Hausmeister, seinen Wagen umsonst auf ihrem ungenutzten Stellplatz in der Tiefgarage des Hauses abzustellen. Durch diese falsche Großzügigkeit sicherte sie sich eine Dankbarkeit, die sie in ihrem
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