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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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doch dann riss sie sich zusammen. Schluss jetzt! Die Zeiten waren lange vorbei, sie hatte ihnen schnell ein Ende gemacht.
    Sie ging über die Treppe zurück nach unten. Sie hatte Angst, allein den Aufzug zu benutzen. Einmal war sie stecken geblieben und hatte Todesängste ausgestanden. Sie hatte geglaubt zu ersticken, hatte den Kopf hin und her geschlagen und nach Luft geschnappt, nach Atem gerungen, geröchelt. Sie hatte ihren Hut abnehmen, sich die Bluse aufknöpfen und nacheinander alle Haarnadeln aus ihrem Knoten ziehen müssen, ehe sie wieder Luft bekam, und es war eine alte, verängstigte, dem Tode nahe Frau gewesen, die die zu Hilfe gerufenen Feuerwehrleute aus dem Fahrstuhl befreiten. Nach einer guten Stunde war alles vorbei gewesen, aber niemals würde sie die entgeisterten Blicke der Angestellten vergessen, als sie schwankend aus ihrem Gefängnis herausgekommen war. Es hatte lange gedauert, ehe sie wieder gewagt hatte, einen Fuß in die Firma zu setzen.
    Vom Hof aus hörte sie barbarische Musik, die aus Renés und Ginettes Wohnung drang, und ein offenbar betrunkener Mann steckte den Kopf aus dem Fenster.
    »Hey, Muttchen«, rief er ihr zu, »komm doch rauf und tanz ’nen Twist mit uns! He, Leute, guckt mal raus, da unten rennt grad’ne Alte mit ’nem komischem Hütchen vom Hof!«
    »Schnauze, Régis!«, brüllte eine Männerstimme, die René zu gehören schien. »Das ist die alte Grobz.«
    Sie zuckte mit den Schultern und beschleunigte ihre Schritte, einen Umschlag mit den verräterischen Kopien unter den Arm geklemmt.
Lacht nur, schimpfte sie, ich habe euch alle in der Hand, ihr könnt euch auf was gefasst machen! Sie hoffte inständig, dass sie gleich ein Taxi bekommen würde, um ihre Beute im Schlafzimmertresor in Sicherheit zu bringen.
     
    »Ach, deshalb sieht man dich nirgends mehr? Du schließt dich ein und schreibst?«
    Iris setzte eine geheimnisvolle Miene auf und nickte. In Gedanken versetzte sie sich in Joséphines Küche und schilderte der verblüfften Bérengère, die ihre Freundin nicht mehr wiedererkannte, die Qualen des Schreibens.
    »Es ist so furchtbar anstrengend, weißt du. Wenn du mich sehen könntest! Ich verlasse mein Arbeitszimmer kaum noch. Carmen bringt mir das Essen auf einem Tablett. Sie zwingt mich dazu, denn ich würde gar nicht daran denken, etwas zu essen!«
    »Stimmt, du hast abgenommen …«
    »All diese Figuren in meinem Kopf! Sie leben in mir. Sie sind realer als du, Alexandre oder Philippe! Das ist ja auch kein Wunder: Du siehst mich zwar vor dir, aber in Wirklichkeit bin ich gar nicht hier! Ich bin bei Florine, so heißt meine Heldin.«
    Bass erstaunt hörte Bérengère ihr zu.
    »Ich kann nicht mehr schlafen. Nachts stehe ich auf, um mir Notizen zu machen. Ich denke die ganze Zeit an nichts anderes. Ich muss ja für jede Figur eine eigene Sprache finden, eine innere Entwicklung, die die Handlung vorantreibt, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Alles muss fließen, alles muss den Anschein erwecken, als sei es vollkommen mühelos zu Papier gebracht worden, damit der Leser in die Geschichte eintauchen und sie genießen kann. Dazu braucht es auch Auslassungen, Ellipsen …«
    Bérengère war sich nicht sicher, was das Wort »Ellipse« bedeutete, aber sie wagte nicht, Iris danach zu fragen.
    »Und wie machst du das mit den Sachen aus dem Mittelalter?«
    »Aus dem zwölften Jahrhundert, Liebes! Ein Wendepunkt in der französischen Geschichte … Ich habe ganze Stapel von Büchern gekauft, und ich lese und lese. Georges Duby, Georges Dumézil, Philippe Ariès, Dominique Barthélemy, Jacques Le Goff … Außerdem
lese ich Chrétien de Troyes, die Romane von Jean Renart und die Lieder von Bernard de Ventadour, dem großen Dichter des zwölften Jahrhunderts!«
    Iris setzte eine besorgte Miene auf und ließ den Kopf ein wenig hängen, als laste all das Wissen schwer auf ihren Schultern.
    »Weißt du eigentlich, wie man damals die Wollust nannte?«
    »Keine Ahnung!«
    »Luxuria. Und wie man abtrieb? Mit Mutterkorn.«
    Noch ein Wort, das ich nicht kenne, dachte Bérengère, und wunderte sich über das umfangreiche Wissen ihrer Freundin. Wer hätte geglaubt, dass die herablassende, oberflächliche Iris Dupin sich an eine derart mühselige Aufgabe wagen würde: einen Roman zu schreiben. Noch dazu einen Roman, der im zwölften Jahrhundert spielte!
    Es funktioniert, es funktioniert, frohlockte Iris. Wenn alle Leser genauso leicht hinters Licht zu führen sind wie die, wird das Ganze

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