Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
eigenen Ansehen steigen ließ und es ihr erlaubte, ihre Umgebung weiter zu terrorisieren. Dieses Netz aus lockersten Freundschaften beruhigte sie. Sie konnte diesen Menschen ihr Herz ausschütten und ihnen endlos die Qualen schildern, die sie wegen ihrer jüngeren Tochter zu leiden hatte. Früher hatte Joséphine sich oft über die unwirsche Art der Concierge gewundert, wenn sie ihre Mutter besuchte.
Es war kein Wunder, dass Henriette Grobz an diesem Morgen bei ihrem Mann das Schlimmste vermutete. Sie witterte überall Böses, weil sie es selbst in sich trug.
Im ersten Moment war sie überrascht, ihren Wagen und den Fahrer nicht vor der Haustür anzutreffen, doch dann fiel ihr ein, dass er am 1. Mai nicht arbeitete. Sie verfluchte diese Feiertage, die die Franzosen in ihrer Faulheit bestärkten und die Produktivität des Landes schwächten, und ließ sich dazu herab, den Arm auszustrecken und ein Taxi heranzuwinken.
»Avenue Niel«, schnauzte sie den Fahrer eines grauen Opels an, der nur wenige Zentimeter vor ihr angehalten hatte.
Wie sie erwartet hatte, waren die Büroräume verlassen.
Keine Spur von Chef oder seiner Sekretärin. Oder von den beiden Schwachsinnigen aus dem Lager. Sie lachte hämisch und ging die Treppe hoch ins Büro, für das sie einen eigenen Schlüssel hatte.
Sie machte es sich bequem, begann mit den offen herumliegenden
Unterlagen, öffnete einen Ordner, dann einen zweiten und prüfte die Einträge im Terminkalender. Kein Frauenname, keine verdächtigen Initialen. Sie ließ sich nicht beirren und durchsuchte die Schubladen nach Scheckheften und Kreditkartenbelegen. Die Kontrollabschnitte der Schecks verrieten ihr nichts Neues. Genauso wenig wie die Kreditkartenbelege. Sie verlor allmählich die Hoffnung, als ihr plötzlich ein dicker Umschlag in die Hände fiel, der ganz hinten in einer der Schubladen steckte. Er trug die Aufschrift »Spesen«. Sie öffnete ihn, und eine warme Woge rachsüchtiger Freude durchströmte sie. Sie hatte es gefunden! Eine Hotelrechnung, vier Nächte im Plaza für zwei Personen inklusive Frühstück, ach was, höhnte sie, Kaviar und Champagner zum Frühstück, Monsieur lässt sich nicht lumpen, wenn er mit seinem Betthäschen unterwegs ist! Eine saftige Rechnung von einem Juwelier an der Place Vendôme und weitere für Champagner, Parfüms und Kleider aus Markenboutiquen! Donnerwetter! Er gibt sich Mühe bei seinen Eroberungen, für sie ist ihm nichts zu schön! Wenn man alt ist, muss man eben blechen! Und das nicht zu knapp!
Sie stand auf und ging in Josianes Büro, um ihre Ausbeute zu kopieren. Während der Kopierer lief, fragte sie sich, warum Chef die Rechnungen überhaupt behalten hatte. Hatte er sie etwa vom Firmenkonto bezahlt? Das wäre Veruntreuung, und sie hätte ihn gleich doppelt in der Hand!
Sie ging zurück in Chefs Büro, setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und suchte weiter. Vielleicht gab es ja noch mehr verdächtige Umschläge. Sie stieß mit dem Fuß gegen einen Karton, der unter dem Tisch stand, bückte sich und zog ihn hervor. Nachdem sie ihn geöffnet hatte, starrte sie verblüfft auf seinen Inhalt: Dutzende Strampelanzüge in Rosa, Blau, Weiß, mit Waffelmuster, aus Baumwollsamt und Seidenmischgewebe, kleine Fäustlinge, damit sich die Babys nicht das Gesicht zerkratzten, Wollsocken in allen möglichen Farben, teure Tücher von La Châtelaine und englische, französische und Schweizer Kataloge für Wiegen, Kinderwagen und Mobiles, die über dem Bett des kleinen Engelchens aufgehängt wurden. Sie durchwühlte den Karton und dachte nach. Er würde eine neue Babylinie einführen! Die renommiertesten Marken kopieren und die Artikel billig in China oder anderswo produzieren lassen. Angewidert verzog
sie das Gesicht. Der alte Grobz wagte sich an einen neuen Markt. Babys. Wie erbärmlich! Sie klappte den Karton wieder zu und schob ihn mit der Spitze ihres Pumps zurück unter den Schreibtisch. So tröstet er sich also darüber hinweg, dass er selbst nie Kinder hatte! Es gibt nichts Jämmerlicheres als alte Männer, die jeden Sinn dafür verlieren, was sich schickt. Man muss auch verzichten können. Er war ihr weiß Gott auf die Nerven gegangen mit seinem Kinderwunsch … Aber sie war standhaft geblieben! Hatte mit eiserner Faust dagegengehalten. Es war schlimm genug, seine Attacken über sich ergehen lassen zu müssen, zu spüren, wie seine Wurstfinger ihre Brüste kneteten … Beim Gedanken daran verzerrte sich ihr Gesicht vor Abscheu,
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