Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Shirley schäumte vor Wut. Normalerweise hätte sie sich mit ihm hingesetzt, hätte Fragen gestellt, zugehört, eine Lösung vorgeschlagen, aber was sollte sie einem Sechzehnjährigen sagen, der mitten in der Pubertät steckte? Dazu brauchte es Zeit, und genau die hatte sie nicht. Sie musste ihren Koffer packen, einen Flug buchen und Joséphine Bescheid sagen.
Als sie zu Joséphine hinüberging, öffnete ihr Madame Barthillet die Tür.
»Ist Joséphine da?«
»Ja … in ihrem Zimmer.«
Auf dem Weg ins Schlafzimmer bemerkte Shirley zwei große Koffer im Flur.
»Was macht Madame Barthillet denn hier?«
»Sie wurde aus ihrer Wohnung geworfen. Ich habe ihr angeboten, bei mir zu wohnen, bis sie etwas Neues gefunden hat.«
»Oh, wie ungünstig … Ich wollte dich eigentlich um einen Gefallen bitten.«
Joséphine legte die Bettwäsche ab, die sie gerade aus dem Schrank genommen hatte.
»Was ist denn?«
»Ich muss dringend nach London … Ein Job! Ich wollte dich fragen, ob du ein Auge auf Gary haben kannst, solange ich weg bin.«
»Wie lange bleibst du denn?«
»Eine knappe Woche …«
»Kein Problem. Das macht jetzt auch keinen Unterschied mehr! Ich male mir einfach ein rotes Kreuz auf die Stirn.«
»Es tut mir furchtbar leid, Jo, aber ich kann den Termin nicht absagen. Dafür helfe ich dir mit Madame Barthillet, wenn ich wieder zurück bin.«
»Ich hoffe doch sehr, dass sie weg ist, ehe du zurückkommst. Und was ist mit meinem Buch? Mir bleiben nur noch zwei Monate, bis ich das Manuskript abgeben muss! Und ich bin erst beim zweiten Ehemann. Danach fehlen immer noch drei!«
Sie setzten sich auf Joséphines Bett.
»Soll sie in deinem Zimmer schlafen?«, fragte Shirley.
»Ja, zusammen mit Max. Ich schlafe auf der Couch und fahre zum Arbeiten in die Bibliothek …«
»Und was ist mit ihr? Hat sie keine Arbeit?«
»Ihr wurde gekündigt.«
Shirley griff nach Joséphines Hand, drückte sie und dankte ihr.
»Das mache ich wieder gut, versprochen!«
Als die Mädchen aus der Schule kamen, klatschte Zoé bei der Nachricht, dass Max Barthillet bei ihnen wohnen würde, vor Freude in die Hände. Hortense nahm ihre Mutter im Badezimmer beiseite.
»Das ist doch wohl ein Witz, oder?«, fragte sie.
»Nein, Hortense … Wir lassen sie nicht unter einer Brücke schlafen.«
»Das kann nicht dein Ernst sein, M’man!«
»Ich verlange doch gar nichts von dir.«
»Doch. Wir müssen für diese zwei Schwachmaten Platz machen. Du weißt genau, was Madame Barthillet ist: ein Sozialfall. Das wirst du noch bereuen, du wirst schon sehen! Jedenfalls kommt es überhaupt nicht infrage, dass die sich auch noch in meinem Zimmer breitmachen! Oder meinen Computer anfassen!«
»Es ist doch nur für ein paar Tage, Liebes«, sagte Joséphine leise und versuchte, sie in die Arme zu nehmen. »Sei doch nicht so egoistisch! Und außerdem ist es nicht DEIN Zimmer, es gehört genauso gut Zoé …«
»Dein blödes Nonnengetue kotzt mich an. Du bist so was von jämmerlich!«
Joséphine hatte ihr die Ohrfeige verpasst, ohne es überhaupt zu merken. Hortense fasste sich mit einer Hand an die Wange und starrte ihre Mutter aus zornfunkelnden Augen an.
»Ich halt das hier nicht mehr aus!«, zischte sie. »Ich halt es nicht mehr aus, mit dir zusammenzuwohnen! Ich will hier nur noch raus, und ich warne dich …«
Da schlug Joséphine ein zweites Mal zu, und in dieser Ohrfeige entlud sich ihre ganze Wut. In der Küche bereiteten Zoé, Max und Madame Barthillet das Abendessen vor. Max und Zoé deckten den Tisch, während Madame Barthillet das Nudelwasser aufsetzte.
»Du reißt dich jetzt zusammen und benimmst dich ordentlich, sonst wird das hier böse enden«, zischte Joséphine mit zusammengebissenen Zähnen.
Hortense sah sie an, schwankte und ließ sich auf den Rand der Wanne sinken. Dann lachte sie bitter auf und starrte ihre Mutter an.
»Du blöde Kuh!«, stieß sie voller Wut und Verachtung hervor.
Joséphine packte sie am Ärmel ihres Pullovers und warf sie aus dem Badezimmer. Dann sank sie auf den Boden und kämpfte gegen die Übelkeit, die in ihrem Magen aufstieg. Sie wollte sich übergeben. Sie wollte weinen. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie die Beherrschung verloren hatte. Man löst keine Probleme, indem man ein Kind ohrfeigt. Im Gegenteil, es ist das Eingeständnis einer Niederlage. Hortense ging immer als Siegerin aus ihren Auseinandersetzungen hervor.
Joséphine ließ
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