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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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fallen. Er bückte sich, um es aufzuheben, und als er sich wieder aufrichtete und sie erkannte, lächelte er.
    »Das ist wohl eine Angewohnheit von Ihnen, alles fallen zu lassen!«
    »Ich bin einfach furchtbar zerstreut!«
    Er lachte leise und entgegnete: »Aber ich kann nicht immer da sein.«
    Er hatte es vollkommen gleichmütig und beiläufig gesagt. Ohne einen Hauch von Verschmitztheit. Es war eine Feststellung, und plötzlich schämte sie sich für ihren Trick. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie verwünschte ihre Stummheit, suchte verzweifelt nach einer geistreichen Erwiderung, fand keine und errötete.
    »Es ist schon Frühling, und Sie tragen immer noch Ihren Dufflecoat«, sagte sie schließlich aufs Geratewohl, um das Schweigen zu brechen.
    »Mir ist immer kalt …«
    Sie schwieg erneut und verfluchte sich im Stillen. Der Bus hielt vor ihnen an. Er ließ ihr den Vortritt und stieg hinter ihr ein, als müssten sie beide in die gleiche Richtung. Mein Gott! Das ist ja vollkommen falsch, dachte Jo, als sie sah, dass der Bus in Richtung Place de la Boule fuhr. Sie setzte sich und ließ den Platz neben sich frei, damit er sich zu ihr setzen konnte. Sie sah, wie er kurz zögerte. Doch dann besann er sich, dankte ihr und setzte sich hin.
    »Unterrichten Sie?«, fragte er höflich.
    Er hatte eine lange Nase mit klar gezeichneten Nasenlöchern. Thibaut Großnase? Das wäre origineller als Thibaut der Troubadour.
    »Ich arbeite am CNRS und forsche über das zwölfte Jahrhundert.«
    Er verzog anerkennend das Gesicht.
    »Das zwölfte Jahrhundert, eine schöne Zeit. Leider kaum bekannt …«
    »Und woran arbeiten Sie?«, wollte sie wissen.
    »Ich schreibe eine Geschichte der Tränen … Für einen ausländischen Verlag. Einen Universitätsverlag. Kein sehr fröhliches Thema, wie Sie sehen.«
    »Nein, aber sicher unglaublich faszinierend!«
    Sie beschimpfte sich stumm: Was für eine bescheuerte Antwort. Bescheuert und platt. Machte jede Erwiderung, jedes Eingehen auf ihre Worte unmöglich.
    »Tränen waren in gewisser Weise das Kino jener Zeit«, erklärte er. »Eine Möglichkeit, sowohl im privaten Umfeld als auch in der Öffentlichkeit seine Gefühle auszudrücken. Die Menschen, auch Männer, weinten sehr viel …«
    Er zog seinen Dufflecoat enger um sich und versank wieder in seine Träumereien. Meine Güte, ist dieser Mann verfroren, dachte Joséphine und nahm sich vor, dieses Detail auch für Thibaut zu verwenden, der anfällige Bronchien hatte.
    Sie schaute zum Fenster hinaus: Sie entfernte sich immer weiter von ihrem Zuhause! Irgendwie musste sie wieder zurück. Die Mädchen kamen bald aus der Schule und würden sich wundern, wenn sie nicht zu Hause wäre. Wenn ich mir vorstelle, dass ich früher immer da war, wenn sie aus der Schule kamen, aufmerksam, jederzeit zur Verfügung. Ich mag es zu klingeln, und ich mag es, wenn du mir die Tür aufmachst, sagte Zoé oft und schlang die Arme um ihren Hals.
    »Gehen Sie oft in die Bibliothek?«, fragte sie, nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hatte.
    »Immer wenn ich zum Arbeiten Ruhe brauche … Wenn ich mich konzentriere, ertrage ich nicht das geringste Geräusch.«
    Er ist verheiratet, er hat Kinder, dachte Joséphine. Sie musste unbedingt mehr darüber herausfinden. Sie fragte sich gerade, wie sie das anstellen sollte, ohne zu aufdringlich zu erscheinen, als er aufstand.
    »Ich muss hier raus … Wir sehen uns bestimmt irgendwann wieder.«
    Verlegen sah er sie an. Sie nickte, antwortete »ja, bis dann«, und sah ihm nach, als er ausstieg. Er ging davon, ohne sich noch einmal umzudrehen, und sein Gang war der eines Menschen, der in sich hineinblickt und nicht auf den Weg, den er geht.
    Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als den Bus in die entgegengesetzte Richtung zu nehmen. Sie hatte vergessen, ihn nach seinem Namen zu fragen. Er war nicht sehr gesprächig. Für einen Mann, der als Fotomodell arbeitete, wirkte er ziemlich verschlossen.
    Unten im Hausflur hatte sich eine Menschentraube gebildet. Joséphine klopfte das Herz bis zum Hals: Den Mädchen war etwas zugestoßen. Hastig drängte sie sich zwischen den Schaulustigen hindurch und entdeckte Madame Barthillet und Max, die auf den Treppenstufen saßen.
    »Was ist denn los?«, erkundigte sich Joséphine bei der Nachbarin aus dem dritten Stock, die die beiden mit verschränkten Armen musterte.
    »Der Gerichtsvollzieher war da und hat überall sein Siegel draufgeklebt. Sie müssen ausziehen.

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