Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
riesigen Schuh durch die Gegend laufen! Wie sieht das denn aus?«
Joséphine starrte sie verblüfft an.
»Und das hab ich auch nur rausgekriegt, weil ich ihn ausgetrickst hab! Sonst hätt der mich heute wieder verschaukelt. Als ich im Café angekommen bin, saß er schon da, fein angezogen, frisch parfümiert, der Hemdkragen offen und ein Päckchen auf dem Tisch … Hier, sehen Sie!«
Sie streckte die Hand aus und zeigte Joséphine etwas, das wie ein kleiner Diamant an ihrem Zeigefinger aussah.
»Wir küssen uns, er sagt mir, wie toll ich ausseh, bestellt ’nen Minzsirup mit Wasser für sich und ’nen Kaffee für mich, und wir reden und reden … Er sagt, dass er mich sehr gern mag, dass er nachgedacht hat und dass er die Wohnung, die ich so dringend brauch, für mich mieten will. Also knutsch ich ihn ab, häng mich an seinen Hals, reib mich an ihm, kurz, ich mach mich total lächerlich! Und er strahlt wie ’n Honigkuchenpferd, plustert sich auf und will immer
noch nicht mit mir ins Hotel. Das Theater zieht sich und zieht sich, ich denk mir, das kann doch nich normal sein, und sag, ich hätte noch ’ne Verabredung, um mich vom Acker zu machen. Da küsst Alberto mir die Hand und sagt, beim nächsten Mal kaufen wir ’ne Zeitung und sehen zusammen die Anzeigen durch. Ich steh auf, geh raus und wart an der Ecke, bis er auch loszieht. Und da seh ich ihn vorbeigehen. Mit seinem Klumpfuß! Sieht aus, als steckte sein Fuß in ’ner Werkzeugkiste! Er humpelt, Madame Joséphine, er humpelt! Er ist total verwachsen!«
»Na und? Er hat doch trotzdem ein Recht zu leben, oder nicht?«, schrie Joséphine ihren Abscheu hinaus. »Sie wollen ihn ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, dann darf er doch auch einen Klumpfuß haben.«
Christine Barthillet blieb vor Überraschung der Mund offen stehen.
»Aber Madame Joséphine … Sie müssen sich doch nich gleich so aufregen.«
»Soll ich Ihnen mal was sagen: Sie widern mich an! Wenn Max nicht wäre, würde ich Sie auf der Stelle vor die Tür setzen! Sie wohnen hier bei mir und rühren keinen Finger, um mir zu helfen, Sie turteln die ganze Zeit im Internet herum oder sitzen Kaugummi kauend vor dem Fernseher, und dann beschweren Sie sich auch noch, weil Ihr Verehrer nicht so perfekt ist, wie Sie ihn sich vorgestellt haben. Sie sind erbärmlich … Sie haben weder ein Herz noch ein Mindestmaß an Anstand.«
»Also so was …«, grummelte Christine Barthillet. »Wenn man jetzt schon nich mal mehr seine Meinung sagen darf.«
»Sie sollten sich Arbeit suchen, morgens aufstehen, sich anziehen, sich um Ihren Sohn kümmern und mir im Haushalt helfen. Ist Ihnen das niemals in den Sinn gekommen?«
»Ich dachte, es gefällt Ihnen, sich um andere zu kümmern. Da hab ich Sie einfach machen lassen …«
Joséphine riss sich zusammen, legte die Ellbogen auf den Tisch, als setzte sie sich für Verhandlungen zurecht, und erklärte: »Sie hören mir jetzt gut zu… Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit, und es gibt noch genügend anderes, um das ich mich kümmern muss. Heute
haben wir den 10. Juni, und ich will, dass Sie bis Ende des Monats verschwunden sind. Mit oder ohne Alberto! Weil ich so eine gute Seele bin, kann Max hierbleiben, bis Sie eine endgültige Lösung gefunden haben, aber ich will mich nie wieder, hören Sie, nie wieder um Sie kümmern.«
»Ist angekommen …«, murmelte Christine Barthillet mit dem Seufzen einer Unverstandenen.
»Umso besser, denn ich hatte nicht vor, Ihnen auch noch ein Bild zu malen! Gutmütigkeit hat ihre Grenzen, und die meinen sind jetzt endgültig erreicht…«
Josiane sah die kleine Cortès ankommen. Pünktlich wie jeden Morgen. Mit ihrem wiegenden Gang, Hüfte nach rechts, Hüfte nach links, betrat sie das Firmengebäude und bewegte sich dabei mit der Eleganz und Ausstrahlung eines Models. Jede Geste war richtig, aber einstudiert. Sie begrüßte jeden Angestellten, lächelte, sah ihm ins Gesicht und merkte sich alle Namen. Jeden Tag änderte sich ein Detail an ihrer Kleidung, aber jeden Tag bewunderte man unwillkürlich ihre langen Beine, ihre schlanke Taille, ihre straffen, jungen Brüste, als hätte sie gelernt, jede Einzelheit ihres Körpers ins rechte Licht zu rücken, ohne dass man ihr unterstellen konnte, es absichtlich zu tun. Bei der Arbeit band sie ihr langes rotbraunes Haar zusammen, um es am Ende des Tages mit einer dramatischen Geste wieder zu lösen und sich dabei ein paar Strähnen hinter die Ohren zu streichen, damit
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