Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
man das anmutige Oval ihres Gesichts, das perlmuttartige Schimmern ihrer Haut und ihre fein geschnittenen Züge bemerkte. Aber sie arbeitete! Auf der faulen Haut liegt das Mädel nicht, so viel ist sicher. Ginette hatte sie unter ihre Fittiche genommen und ihr gezeigt, wie die Lagerbestände verwaltet wurden. Die Kleine konnte mit dem Computer umgehen und hatte alles schnell begriffen. Jetzt wollte sie eine neue Aufgabe und kreiste um Josiane herum.
»Wer ist denn bei Ihnen für den Einkauf zuständig?«, fragte sie sie mit einem strahlenden Lächeln, das nicht zum metallischen Funkeln ihrer Augen passte.
»Chaval«, antwortete Josiane und fächelte sich Luft zu.
Es war drückend heiß, und Marcel hatte die Büroräume immer
noch nicht mit einer Klimaanlage ausstatten lassen. Bei der Hitze streikt demnächst noch mein Eisprung!
»Ich glaube, dann werde ich lieber bei ihm weiterarbeiten … Im Lager kenne ich schon alles, das ist nicht besonders spannend, jetzt möchte ich etwas anderes lernen.«
Schon wieder dieses falsche Lächeln, als wäre ich eine minderbemittelte Seegurke!, schimpfte Josiane stumm. Sogar Ginette und René lassen sich von ihr täuschen. Von den Lagerarbeitern ganz zu schweigen, denen hängt die Zunge bis auf den Boden, wenn sie nur an sie denken.
»Dann frag ihn doch … Ich bin sicher, er wäre begeistert von einer Praktikantin wie dir.«
»Was mich nämlich interessiert, ist, zu sehen, was den Leuten gefällt, und ihren Geschmack zu beeinflussen. Günstige Sachen können ja auch hübsch sein.«
»Und was wir hier verkaufen, ist hässlich, oder wie?«, entfuhr es Josiane. Sie war empört über den herablassenden Ton dieses jungen Dings.
»O nein, Josiane … Das habe ich doch gar nicht gesagt.«
»Nein, aber du hast es angedeutet! Geh ruhig zu Chaval … Er wird dich sicher nehmen, aber du solltest dich beeilen, Ende des Monats ist er weg. Sein Büro ist ein Stockwerk höher.«
Hortense dankte ihr mit einem weiteren künstlichen Lächeln, das Josiane unbeeindruckt ließ. Ich bin bloß mal gespannt, wie das ausgeht, wenn die zwei aufeinanderprallen. Wer von denen verspeist wohl den anderen zum Frühstück?
Sie schaute aus dem Fenster, um nachzusehen, ob Chavals Auto im Hof stand. Es war da. Geparkt wie ein Mittwoch, genau in der Mitte! Die anderen konnten ja sehen, wo sie noch einen Platz bekamen.
Die Anzeige des Telefons leuchtete auf, und sie hob ab. Es war Henriette Grobz, die ihren Mann suchte.
»Er ist noch nicht da«, antwortete Josiane. »Er hatte einen Termin in Batignolles und müsste gegen zehn hier sein …«
In Wahrheit war er beim Joggen, wie jeden Morgen. Schweißnass kam er ins Büro, duschte bei René, schluckte seine Vitamine, zog sich um und begann den Tag mit der Energie eines Jünglings.
Henriette Grobz brummte, er solle sie zurückrufen, sobald er da sei. Josiane versprach, es ihm auszurichten. Henriette legte auf, ohne Danke oder Auf Wiedersehen zu sagen, und Josiane spürte einen Stich im Herzen. Nach all den Jahren sollte sie sich daran gewöhnt haben, aber das konnte sie nicht. Manche kleinen Demütigungen schmerzen mehr als ein Schlag ins Gesicht, und die Alte piesackt mich schon viel zu lange. Aber das ist ja bald vorbei, und dann … Und dann nichts, riss sie sich zusammen, der Zahnstocher kann mich mal, die hat sich selbst in die Scheiße geritten.
Während Hortense sich in Chefs Firma die ersten Sporen verdiente, schlurften Zoé, Alexandre und Max durch die Säle des Musée d’Orsay. Iris war schon frühmorgens mit ihnen dorthin gegangen, weil sie hoffte, die impressionistischen Meisterwerke könnten den lärmenden Überschwang der Kinder dämpfen. Sie ertrug den Freizeitpark im Bois de Boulogne nicht mehr, die Schlangen vor den Attraktionen, die Schreie, den Staub, die schäbigen Plüschtiere, die sie durch die Gegend schleppen musste, weil sie sie gewonnen hatten und wie Trophäen überall herumzeigten. Es ist höchste Zeit, dass Jo endlich fertig wird und ich mein altes Leben wiederbekomme. Ich halte diese wilden Teenager nicht mehr aus! Alexandre geht ja noch, aber die beiden anderen! Gott, sind die schlecht erzogen! Die kleine Zoé war früher so süß, aber in letzter Zeit hat sie sich in ein Monster verwandelt. Das muss an Max’ Einfluss liegen. Nach dem Besuch im Museum würde sie mit ihnen zum Mittagessen ins Café Marly gehen und ihnen Fragen stellen über das, was sie gesehen hatten. Sie hatte sie aufgefordert, sich jeweils drei
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