Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
reich sein! Im ersten Moment ist Florine am Boden zerstört, dann erblickt sie in der Wiederholung ihres Schicksals ein Zeichen Gottes. Sie muss ihr Los und dieses Geld akzeptieren. Sie findet sich mit ihrem neuerlichen Reichtum ab, eröffnet eine Zuflucht für Arme und Obdachlose und führt sie gemeinsam mit Tancrède, dem sie viele Kinder schenkt. ENDE.
Jetzt brauchte sie es nur noch aufzuschreiben. Wenigstens ist das Ende in Sicht. Ich muss mich noch ein letztes Mal zusammenreißen, dann bin ich fertig. Und dann … dann muss ich das Buch Iris überlassen. Es wird mir schwerfallen. Ich darf nicht daran denken, ich darf nicht daran denken. Ich habe Ja gesagt. Aus den falschen Gründen, sicher, aber ich habe Ja gesagt. Ich muss dieses Buch loslassen und darf keinen weiteren Gedanken mehr daran verschwenden.
Sie fürchtete sich vor diesem Moment. Das Buch war für sie zu einem Freund geworden, die Figuren füllten ihr Leben aus, sie redete mit ihnen, hörte ihnen zu, begleitete sie. Wie soll ich es nur schaffen, mich von ihnen zu trennen?
Um nicht länger daran zu denken, schaute sie nach ihren Mails. Antoine hatte ihr geschrieben. Bei ihrem letzten Telefonat hätten sie sich beinahe gestritten. Wegen Madame Barthillet.
Meine liebe Jo,
nur eine kurze Nachricht von mir, damit Du weißt, wie es mir geht. Es wird Dich freuen zu erfahren, dass ich endlich Deinen Rat befolgt habe und in Streik getreten bin. Es war eine Katastrophe! Lee kam mit der Arbeit nicht mehr hinterher. Er lief herum wie ein aufgescheuchtes Huhn, und die Augen quollen ihm aus dem Kopf. Die Krokodile waren
völlig ausgehungert, sie haben die Absperrzäune durchbrochen und zwei Arbeiter gefressen. Sie mussten erschossen werden, sie und alle, die nach ihnen noch ausgebrochen waren! Es ist nicht leicht, auf Krokodile zu schießen. Die Kugeln prallten von ihrem Panzer ab und flogen überall herum, es gab mehrere Verletzte! Beinahe hätte es einen Aufstand gegeben. Alle haben darüber geredet, es war sogar auf der Titelseite der örtlichen Zeitung. Mister Wei hat mir einen dicken Scheck geschickt und endlich alles bezahlt, was er mir schuldete!
Allerdings habe ich gemerkt, dass Lee auf Weis Seite steht. Als ich erklärt habe, dass ich nicht mehr weiterarbeiten würde, hat er mir nicht geglaubt. Er hat mich mit seinen kleinen gelben Augen beobachtet und wusste nicht, was er davon halten sollte. Er ist mir überallhin gefolgt, tauchte plötzlich hinter mir auf, wenn ich am wenigsten mit ihm rechnete, kam mir nach, wenn ich zu Mylènes Laden ging, und mehrmals habe ich ihn dabei erwischt, wie er mit leiser Stimme telefonierte. Wie ein Verschwörer. Er hat etwas zu verbergen. Warum hätte er sonst flüstern sollen, wo ich doch kein Wort Chinesisch verstehe? Seitdem nehme ich mich vor ihm in Acht. Ich habe mir einen Hund angeschafft und lasse ihn heimlich unter dem Tisch einen Bissen von allem probieren, was ich esse. Du denkst bestimmt, ich leide unter Verfolgungswahn, aber es kommt mir vor, als sähe ich überall Krokodile.
Während meines Streiks habe ich Mylène ein wenig bei der Arbeit geholfen. Sie ist ein nettes Mädchen, weißt Du. Und so energisch. Sie rackert sich ab, schuftet jeden Tag zwölf Stunden ohne Pause, sogar sonntags! Ihr Laden ist immer voll. Sie verdient ein Heidengeld. Die Eröffnung war ein voller Erfolg, und seitdem hat der Andrang nicht nachgelassen. Die Chinesinnen geben ihr gesamtes Geld aus, um so schön zu werden wie die Frauen aus dem Westen. Sie bietet Kosmetikbehandlungen an und verkauft Make-up. Sie musste schon zweimal nach Frankreich zurückfliegen, um Nachschub zu besorgen. Während sie weg war, habe ich den Laden für sie geführt, und dabei bin ich auf ganz neue Ideen gekommen. Wundere Dich nicht, wenn ich demnächst reich und berühmt werde, auch wenn ich dafür unter Umständen nach China ziehen muss! Denn eines ist doch klar: Die Chinesen überschwemmen uns zwar mit ihren Billigprodukten, aber wir können ihnen den Schnabel stopfen, indem wir ihnen unser Know-How verkaufen!
O Gott, es ist wieder so weit!, dachte Joséphine entsetzt. Er hat viel zu große Pläne, will wieder alles viel zu schnell. Er hat nichts begriffen.
Ich trinke kaum noch. Nur einen Whisky abends, wenn die Sonne untergeht. Aber mehr nicht, das schwöre ich … Kurzum, ich bin glücklich und habe endlich das Ziel vor Augen! Ich bin übrigens der Meinung, dass wir uns scheiden lassen sollten. Das wäre praktischer, wenn ich mich irgendwann
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