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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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verschlang ihn geradezu. Völlig versunken blätterte sie die Seiten um und las aufmerksam jede Zeile, als wollte sie sich nicht ein Wort entgehen lassen. Rings um sie herum setzten sich die Leute, standen auf, telefonierten, husteten, redeten miteinander, doch sie rührte sich nicht. Sie las.
    Joséphine starrte sie verblüfft an. Die demütige Königin im 163er!
    Dann stimmte es also, was in den Zeitungen stand: Ihr Buch verkaufte sich. Es ging weg wie warme Semmeln. Anfangs hatte sie es nicht geglaubt. Sie hatte sogar geargwöhnt, dass Philippe alle Exemplare aufkaufte. Aber Die demütige Königin im 163er zu sehen bewies ihr, dass der Erfolg Wirklichkeit war.
    Jedes Mal, wenn sie eine gute Kritik las, wäre sie am liebsten in Triumphgeheul ausgebrochen, hätte gelacht, bis ihr die Tränen kamen, und wäre herumgehüpft wie ein Känguru. Stattdessen lief sie zu Shirley hinüber. Das war der einzige Ort, an dem sie ihrer Freude freien Lauf lassen konnte. »Es funktioniert, Shirley, es funktioniert, ich habe einen Bestseller geschrieben! Kannst du dir das vorstellen? Ich, die kleine graue Maus, die Historikerin mit ihrem Hungerlohn und den verstaubten Vorträgen, die dumme Gans, die nichts vom Leben versteht! Mein allererster Versuch war gleich ein Volltreffer!« Shirley rief »Olé«, und gemeinsam tanzten sie ausgelassen Flamenco. Einmal hatte Gary sie dabei überrascht, und sie hatten mit knallroten Gesichtern und außer Atem mitten in der Bewegung innegehalten.
    Doch mit der Zeit hatte eine immer größere Leere von ihr Besitz ergriffen. Das Gefühl, bestohlen, ausgeraubt, benutzt worden zu sein. Beschmutzt. Iris stellte sich überall zur Schau. Iris lächelte überall. Iris’ blaue Augen sprangen ihr von jedem Zeitungskiosk entgegen. Iris sprach über die Qualen des Schreibens, über die Einsamkeit, das zwölfte Jahrhundert, den heiligen Benedikt. Wie war sie auf die Idee zu ihrem Roman gekommen? Als sie eines Abends in wehmütiger Stimmung Sacré-Cœur betreten hatte. Dort war ihr die Statue einer Heiligen aufgefallen, die so schön war, so sanftmütig dreinblickte, dass sie ihr eine Geschichte auf den Leib geschneidert hatte. Der Name Florine? Ich habe mit meinem Sohn zusammen einen Kuchen gebacken
und Mehl der Marke Francine in die Schüssel gegeben. Francine-Florine-Francine-Florine! Joséphine lauschte fassungslos: Wo nahm sie das bloß alles her? Eines Tages hörte sie sogar, wie sie Gott und die himmlische Inspiration zu Hilfe nahm, um ihren flüssigen Stil zu erklären. »Ich schreibe nicht selbst, es wird mir diktiert.« Joséphine hatte sich auf den Hocker neben dem Spülbecken sinken lassen. »Also so was«, wiederholte sie ein ums andere Mal, »so was von dreist!«
    Sie hatte die Balkontür geöffnet und zu den Sternen aufgeschaut. Das ist zu viel, ich halte das nicht mehr aus! Es ist schwer genug, mit ansehen zu müssen, wie sie sich überall aufspielt, wie sie Florine als ihre Schöpfung ausgibt, aber dass sie mir jetzt auch noch euch wegnimmt! Was bleibt mir dann noch? Soll ich Löcher in die Luft starren? Und woher weiß sie überhaupt, dass ich mit euch rede? Ich habe es ihr nie erzählt, oder vielleicht doch, einmal … Sie nutzt alles für sich! Sie ist ein Vampir.
    Nachdem sie die Leserin im Bus gesehen hatte, klingelte sie abends an Shirleys Tür. Es war niemand zu Hause. In ihrer Wohnung fand sie eine Nachricht von Zoé: »Maman, ich übernachte heute bei Alexandre, Carmen holt mich ab. Hortense hat gesagt, ich soll dir sagen, dass sie heute Abend ausgeht. Sie kommt spät nach Hause, mach dir keine Sorgen. Ich hab dich lieb, Zoé.«
    Sie war allein. Sie wärmte einen Rest Quiche Lorraine auf, legte zwei Blatt Salat daneben und sah zu, wie draußen die Nacht anbrach. Traurig, so traurig.
    Als es dunkel geworden war, öffnete sie die Balkontür und schaute zu den Sternen auf.
    »Papa«, sagte sie versuchsweise, »Papa? Hörst du mich?« Und mit leiser Kinderstimme fügte sie hinzu: »Das ist so ungerecht … Warum muss sie immer im Mittelpunkt stehen? Mich haben sie schon wieder zur Seite gedrängt. Als wir noch klein waren und fotografiert werden sollten, bestand Maman immer darauf, dass Iris gut zu sehen sei. Iris’ Augen, Iris’ Frisur, geh zur Seite, Jo, ich habe den Saum von Iris’ Kleid nicht drauf.«
    »Kriminelle. Eine Kriminelle bist du«, hörte sie die Stimme ihres Vaters. Seine Arme um ihren Körper, der Geschmack seiner salzigen
Haut oder seiner Tränen, seine großen

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