Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
aus, Sie haben abgenommen, das steht Ihnen gut … Ich habe mir ein Handy gekauft. Ich wollte eigentlich nie eins haben, aber ich muss zugeben, es ist praktisch. Ich wusste nicht, wie ich Sie während des Sommers erreichen sollte, ich hatte Ihre Nummer verlegt. Wir beide sind wirklich schrecklich altmodisch.«
Sie hatte ihn angelächelt, erfreut darüber, dass er »wir beide« gesagt hatte, erfreut darüber, dass er fand, sie hätten etwas gemeinsam. Dann hatte sie sich zusammengerissen und von ihrem herrlichen Sommer geschwärmt, von Deauville, Paris im August, der fast leeren Bibliothek, dem fließenden Verkehr, dem Seineufer, Paris Plage.
Er holte sie am Bahnhof ab. In seinem obligatorischen Dufflecoat, lächelnd und mit einem Dreitagebart auf den eingefallenen Wangen. Er schien sich darüber zu freuen, dass sie gekommen war. Er nahm ihre Tasche, legte eine Hand leicht auf ihre Schulter und führte sie zum Ausgang. Beim Gehen schaute sie sich ständig um, ob den Menschen auffiel, dass ein so gut aussehender Mann an ihrer Seite ging. Sie stieg in ihrem eigenen Ansehen.
»Ich habe mir auch ein Handy gekauft.«
»Ach, das ist gut … Dann geben Sie mir doch nachher gleich Ihre Nummer.«
Sie kamen an einem Kiosk vorbei: Im Fenster stand ein Buchständer voller Exemplare der Demütigen Königin . Joséphine zuckte zusammen.
»Haben Sie das gesehen?«, fragte Luca. »Was für ein Erfolg! Der Roman hat einen solchen Wirbel verursacht, dass ich ihn mir auch gekauft habe, und er ist gar nicht mal schlecht. Ich lese sonst nie aktuelle Romane, aber die Epoche hat mein Interesse geweckt. Und ich habe das Buch verschlungen. Wirklich gut geschrieben. Haben Sie es gelesen?«
Joséphine stammelte ein Ja und wechselte das Thema, indem sie ihn nach den bisherigen Vorträgen fragte. Ja, die Vorträge waren interessant, ja, sein eigener Beitrag war gut angekommen, ja, es würde eine Veröffentlichung geben.
»Und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie heute Abend gern zum Essen einladen. Ich habe einen Tisch in einem Restaurant am Strand reserviert. Es wurde mir wärmstens empfohlen …«
Der Nachmittag verging schnell. Sie sprach zwanzig Minuten mit klarer, sicherer Stimme in einem Vorlesungssaal vor etwa dreißig Zuhörern. Sie hielt sich gerade und war überrascht von ihrer neuen Selbstsicherheit. Einige Kollegen kamen zu ihr und gratulierten ihr. Einer von ihnen erwähnte den Erfolg der Demütigen Königin und gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass das zwölfte Jahrhundert endlich ins Blickfeld eines breiteren Publikums gerückt und von seinen Klischees befreit worden war. »Gut gemacht, wirklich gute Arbeit«, schloss er, ehe er sich verabschiedete. Joséphine fragte sich, ob er ihren Vortrag oder den Roman meinte, doch dann fiel ihr ein, dass es ja egal war, weil ohnehin beides von ihr stammte. Irgendwann werde ich es noch ganz vergessen, dachte sie, während sie ihre Unterlagen zusammenschob.
Sie traf Luca im Hotel. Im Taxi fuhren sie zu einem Restaurant am Strand von Carnon und setzten sich an einen Tisch am Wasser.
»Ist Ihnen nicht kalt?«, fragte er, während er die Speisekarte öffnete.
»Nein. Die Außenheizung grillt mir die Schultern, das wird schon gehen«, antwortete sie lachend und deutete mit dem Kinn auf den glühenden Heizpilz hinter ihr.
»Vorsicht, sonst enden Sie noch als Grillteller und landen auf der Speisekarte!«
Wenn er lachte, sah er völlig verändert aus. Er wirkte jünger und unbeschwerter, frei von den Schatten, die ihn sonst umgaben.
Sie war in fröhlicher, ungezwungener Stimmung. Warf einen Blick auf die Karte und beschloss, das Gleiche zu nehmen wie er. Mit ernster Miene bestellte er den Wein. Ich habe ihn noch nie so entspannt erlebt, vielleicht ist er glücklich, weil ich bei ihm bin.
Er erkundigte sich nach ihren Töchtern und fragte sie, ob sie sich immer schon Kinder gewünscht habe oder ob Hortense und Zoé Früchte eines ehelichen Zufalls gewesen seien. Verwundert sah sie ihn an. Diese Frage hatte sie sich noch nie gestellt.
»Eigentlich habe ich früher nie viel nachgedacht. Erst seit meiner Trennung von Antoine ist das Leben komplizierter geworden. Und interessanter … Früher ließ ich mein Leben laufen, mein Weg schien
vorgezeichnet: Ich habe geheiratet, bekam zwei Kinder und hatte mich schon darauf eingerichtet, mit meinem Mann zusammen alt zu werden, Großmutter zu sein. Ein bescheidenes, ereignisloses Dasein. Erst die Trennung hat mich
Weitere Kostenlose Bücher