Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
erzählt, dass ich Arbeit suche und gerne aus Frankreich weg möchte, und er hat gleich an mich gedacht, als er von der Krokodilfarm hörte! Was mich endgültig dazu bewogen hat, mich in dieses Abenteuer zu stürzen, ist der unvorstellbare wirtschaftliche Aufschwung, den China gegenwärtig erlebt. Genau wie Japan in den Achtzigerjahren. Alles, was die Chinesen anfassen, wird zu Gold! Sogar Krokodile. Na ja, das wird wohl eher meine Aufgabe sein: Ich soll dafür sorgen, dass das Geschäft mit den Krokodilen floriert. Und es vielleicht sogar an die Börse bringen. Das wäre doch witzig, findet Ihr nicht? Die chinesischen Arbeiter, die hierher geschickt wurden, haben sehr lange Arbeitstage und wohnen zusammengepfercht in Lehmhütten. Sie lachen die ganze Zeit. Ich frage mich, ob sie nicht sogar noch im Schlaf lachen. Sie sehen so lustig aus mit ihren kurzen, dürren Beinchen, die aus
den zu weiten Shorts herausschauen. Das einzige Problem ist, dass sie häufig von den Krokodilen angegriffen werden und viele Narben an den Armen, den Beinen und sogar im Gesicht haben. Und wisst Ihr was? Sie nähen ihre Wunden selbst. Mit Nadel und Faden. Sie sind zum Schießen! Es gibt natürlich eine Krankenschwester hier, die ihre Wunden versorgen soll, aber sie kümmert sich hauptsächlich um die Besucher.
Denn ich habe vergessen, Euch zu schreiben, dass der Croco Park auch für Touristen geöffnet ist. Für die Europäer, Amerikaner und Australier, die auf Safari nach Kenia kommen. Unsere Farm steht ganz vorn auf der Liste der Ausflüge, die ihnen angeboten werden. Sie zahlen einen geringen Eintritt und bekommen eine Angelrute aus Bambus und zwei tote Hühner, die sie am Ende der Angelschnur befestigen. Dann können sie die Hühner durch das Wasser der Tümpel ziehen und die Krokodile füttern, die zugegebenermaßen ziemlich gefräßig sind. Und bösartig! Obwohl wir den Touristen immer wieder einschärfen, vorsichtig zu sein, werden manche mutiger, gehen zu nah ans Wasser heran und werden gebissen, denn Krokodile sind sehr schnell, und ihre Zahnreihen sind so scharf wie eine Motorsäge! Es kommt auch vor, dass sie jemandem mit einem Schwanzschlag das Genick brechen. Wir versuchen, nicht allzu viel Wind um diese Vorfälle zu machen. Aber die Touristen haben verständlicherweise keine große Lust, zu uns zurückzukommen, wenn sie einmal so böse gebissen wurden!
»Das wundert mich nicht«, sagte Hortense. »Wenn ich ihn besuche, werde ich sie nur durch ein Fernglas beobachten!«
Jo lauschte verdattert. Eine Krokodilfarm! Warum nicht gleich eine Marienkäferzucht?
Aber ich will Euch gleich beruhigen: Mir droht keinerlei Gefahr, denn ich kümmere mich lediglich aus der Ferne um die Krokodile! Ich gehe nicht in ihre Nähe. Das überlasse ich den Chinesen. Die Farm verspricht hohe Gewinne. Erstens weil China hier den Rohstoff produziert, den das Land braucht, um all die Handtaschen, Schuhe und Accessoires herzustellen, die nach französischen und italienischen Vorbildern bei ihnen gefälscht werden. Zweitens weil sich die Chinesen alle zehn Finger nach dem Krokodilfleisch und den Krokodileiern lecken, die hier abgepackt
und nach China verschifft werden. Ihr seht, ich habe alle Hände voll zu tun, um das alles zu organisieren, und bin den ganzen Tag auf den Beinen! Ich wohne im sogenannten »Herrenhaus«, einem großen zweistöckigen Holzhaus im Zentrum der Farm mit mehreren Schlafzimmern und einem Pool, der mit Stacheldraht eingezäunt ist, falls es einem der Krokodile in den Sinn käme, darin herumzuplanschen. Das ist schon einmal vorgekommen! Mein Vorgänger als Parkdirektor fand sich eines Tages Auge in Auge mit einem Krokodil wieder, und seitdem wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Überall auf der Farm gibt es Wachtürme mit bewaffneten Wächtern, die das gesamte Gelände mit Scheinwerfern absuchen. Manchmal brechen nachts auch Eingeborene ein und stehlen Krokodile, um ihr Fleisch zu essen, das übrigens köstlich schmeckt. Das hättet Ihr nicht gedacht, was?
So, meine lieben, kleinen Süßen, jetzt wisst Ihr alles, oder zumindest fast alles, über mein neues Leben. Der Morgen bricht an, und ich gehe gleich hinaus zu meinem Assistenten, um die Aufgaben für den heutigen Tag festzulegen. Ich werde Euch sehr bald und sehr oft wieder schreiben, denn ich vermisse Euch und denke sehr, sehr oft an Euch. Eure Fotos stehen auf meinem Schreibtisch, und ich stelle Euch all den Leuten vor, die mich fragen: »Wer sind denn diese
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