Die gelehrige Schuelerin
gut.«
»Es war in einem Nachtclub. Die Bühne war ungeheuer nah, und die Leute saßen alle an kleinen Tischen. Bevor es anfing, gingen die Schauspieler durchs Lokal und unterhielten sich mit den Gästen – bloß wusste da keiner, dass das schon ein Teil der Show war. Das Ganze bestand aus kleinen Sketchen und Szenen, die hauptsächlich nackt gespielt wurden. Sie bezogen sich auf jedes sexuelle Thema, das man sich nur vorstellen kann. Eine der Nummern hieß›Der Cunnilingusmeister aus der Kompanie C‹, und dabei wurden auch eindeutige Handlungen vorgeführt. Sie gebrauchten jedes schmutzige Wort, das man finden kann. Zu Anfang war das Publikum sehr verlegen. Ich auch. Aber nach einiger Zeit war es nur noch komisch, und man hatte Spaß daran. Die Schauspieler machten alles so persönlich und natürlich, dass wir unsere Unsicherheit verloren und gar nicht mehr an Pornografie dachten. Jeder machte mit, klatschte, lachte. ›Schwanz, Titte und Möse‹ waren genauso natürliche Worte wie ›Arm, Bein, Hand‹. Eine nackte Frau auf allen vieren sah nicht pervers aus, sie war schön. Am schönsten war es aber zum Schluss, als die Schauspieler vor den Vorhang kamen, um uns auf Wiedersehen zu sagen. Sie sprachen mit allen darüber, was sie gerade gezeigt hatten, und die Leute unterhielten sich angeregt mit ihnen, obwohl sie alle nackt waren. Niemandem fiel das mehr auf, zumindest machte es nichts mehr aus. Frauen, Männer, ja sogar Kinder aus dem Publikum schüttelten ihnen die Hände und lachten dabei. Für mich war es das erste Mal, dass ich neben einer nackten Frau gestanden hatte, ohne dass es mir auffiel. Ich war nicht besonders verlegen oder aufgeregt und hatte auch nicht dieses dumme Gefühl, immer hinsehen zu müssen.«
»Ich möchte diese Show sehen«, sagte Annie. »Glaubst du, dass wir mal hinfahren könnten?« Ich lächelte. »In Dillistown degeneriert der Porno zu einer scheußlichen Sache mit Pech, Federn und Schwefel, das sehe ich jetzt schon.«
»Pornografie existiert nur in der Vorstellung des Einzelnen; je mehr er es will, desto schlimmer wird sie«, sagte ich. »Wörter werden erst dadurch schmutzig, dass Leute es so haben wollen. Ich würde gern in einer Welt leben, in der Sex und die dazugehörigen Wörter nicht gleich als pervers abgestempelt würden, nur weil etwas ein bisschen von der Norm abweicht.«
»Hey, Big Boy«, sagte Annie und öffnete ihre Lippen dabei verführerisch. »Warum lädst du nicht mal dein großes Ding da auf und schießt meine Möse mit deiner heißen Ladung voll?«
Das tat ich.
Der viele Sex und wenig Schlaf brachten mir die Grippe. Annie war da, immer, lief jeden Tag den ganzen Weg zu meiner Wohnung, kam so oft, dass ich dachte, sie wäre nie weg gewesen. Sie konnte keine Hühnersuppe kochen, aber sie konnte die Konservendosen öffnen.
Sie kaufte mir Saft. Aspirin. Toast. Tee. Noch mehr Suppe. Ginger Ale. Wechselte meine Bettwäsche. Wusch meine Kleider. Spülte das Geschirr. Dann ging sie los und kaufte Apfelsauce und eingelegte Mandarinenschnitten, wenn ich einen seltsamen Appetit bekam. Meistens kam ich durch die Fernsehreklamen auf so komische Sachen. Sie nutzten meine Schwäche brutal aus. Sie las mir etwas vor, wobei sie ein Buch von meinem Regal wählte.
Eines Abends las sie eine Reihe von Kurzgeschichten aus Anaïs Nins
Delta der Venus.
Wegen meiner Krankheit konnte ich mich nicht so sehr in die erotische Fiktion hineinsteigern, aber sie tat es begeistert – beschleunigte das Tempo, las abwechselnd mit lauter oder leiser Stimme, je nach Inhalt der interessantesten Stellen, und fügte auch mal keuchend ein schmutziges Wort ein, wenn sie das nötig fand. Als sie sah, dass ich nicht mehr ganz folgen konnte, wechselte sie die Lektüre.
Sie las den Anfang von Steinbecks
Früchte des Zorns.
Ich fühlte mich wie die schwerfällige Schildkröte, die sich zentimeterweise auf dem asphaltierten Oklahomahighway vorwärts zog. Ich konnte die flackernde Hitze und die Trockenheit des ausgedörrten Farmlandes auf meiner Haut spüren.
Annie umarmte und küsste mich und wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht. Keine Angst, dass sie sich anstecken könnte. »Ich kriege niemals eine Erkältung.« Und sie bekam keine.
Am vorletzten Ferienabend hatte ich mich völlig erholt. Samstag, Silvester 1979. Um mit ihr zu feiern, bereitete ich ein herrliches Dinner vor. Eigentlich brauchten wir diese Extravaganzen nicht, um uns einen großartigen Abend zu machen. Unsere Party war ein
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