Die gelehrige Schuelerin
hätte, dass sie auf diese Ebene des unpersönlichen Sex hinabsteigen könnte. Ich möchte die Begierden dieser Frau auf ihre wesentlichste Ebene reduzieren, will, dass sie genauso spontan nach Sex verlangt wie die ewig geilen Männer. Sie soll ein Verlangen haben, das genauso schnell und unkontrollierbar anschwillt wie ein Schwanz. Und dann werde ich es so machen, dass sie gar nicht genug kriegen kann.«
»Ich werde dein John sein«, sagte Annie.
»Wo hast du denn das Wort gelernt?«
»Ich habe
Taxi Driver
gesehen. Mit Clara.« Dann fügte sie hinzu: »›Geheimnisse‹ bringt mitten in der Nacht wesentlich mehr Spaß.«
»Ich glaube, wir spielen gerade ein neues Spiel.«
»Welches?«
»Fantasie.
Es geht noch weiter als
Geheimnisse.
Jeder Mensch hat sexuelle Fantasien, aber es gibt nicht viele, die das zugeben würden …«
»Außer uns.«
»Ja«, sagte ich, »aber ich vermute, das bringt noch lange nicht so viel Spaß, als wenn du jemand anderem deine Fantasien erzählst und sie mit ihm zusammen spielen kannst. Sie sind etwas ganz Spezielles, so bereichernd, dass du
Geheimnisse,
wenn du mal eine Fantasie ausleben könntest, ohne sie sogar erst verbalisieren zu müssen, sofort fahren lassen würdest.«
»Warum schreiben wir uns nicht gegenseitig Briefe mit unseren Fantasien? Dann könnten wir uns abwechselnd damit überraschen, dass wir mit dem Spiel anfangen zu einer Zeit, von der der andere nichts ahnt.«
»Vielleicht«, sagte ich und dachte dabei im Stillen, dass auch nur ein Teenagerhirn auf so eine verrückte Idee kommen könnte.
»Gigolo.«
»Zigeunerbraut.«
Wir küssten uns und Annie kicherte: »Ich habe schon so tolle Vorstellungen, was ich dir schreiben werde.«
Das hatte ich auch. Richtige Fetzer.
Wir schlummerten, umarmten uns, und spürten dabei immer die Nähe des anderen. Einmal öffneten wir in genau demselben Augenblick unsere Augen und starrten uns an. Ich dachte an die Zeit, als ich sie beobachtet hatte, wie sie von meinem Auto wegging, und dabei gedacht hatte, dass sie nur ein mageres Kind mit einem hübschen Gesicht wäre. Jetzt sah ich in ihren Augen, in ihrer Nase, der weichen Linie des Mundes, dem schlanken Oval ihres Gesichts, das von langen Haarbüscheln beschattet wurde, den wunderbaren Schimmer von Lieblichkeit. Sie war die Frau, die ich brauchte.
Bald schliefen wir ein. Dann, viel später, gegen Ende der Nacht, hörte ich, wie Annie flüsternd einen Kindervers vor sich hersagte, wobei sie Buchstaben von
küssen
laut und einzeln betonte …
»Annie und Arnie sitzen auf einem Baum und KÜSSEN sich
Erst kommt die Liebe
Dann kommt die Hochzeit
Dann kommen Annie und Arnie mit einem Kinderwagen …«
Ich lauschte auf den Rhythmus unserer Namen, als sie den Vers wiederholte. Annie-Arnie. Obwohl wir weit voneinander entfernt waren, als wir anfingen, griffen wir ebenso leicht ineinander über wie die Vokale unserer Namen. Aus Kakophonie war Harmonie geworden. Jede Erfahrung, jedes Bedürfnis, jedes Mitteilen von Stärke und Schwäche, jede Enthüllung unseres tief verborgenen Selbst brachte uns einander näher. Wenn wir allein sind, zusammen, weg von den anderen, mögen, hassen und wollen wir dieselben Dinge. Aus zwei verschiedenen Wesen zu Anfang wurde nun eins.
Ich würde das Liebe nennen.
Dritter Teil
13. Kapitel
Einige werden sagen, dass der Autor dieses nicht tun könne, aber dies ist mein Buch, und ich werde darin alles tun, wozu ich Lust habe
Es war an einem Sonntag. Das Mädchen lief nach Hause. Sie schritt über Sprünge im Asphalt des Bürgersteigs und achtete darauf, nicht auf Risslinien zu treten. Ein Spiel. Später hüpfte sie den Randstein rauf und runter, zwei Schritte oben, zwei Schritte unten. Einen Augenblick lang rannte sie, um die kalte Luft an den heißen Wangen zu spüren.
»Mom! Bin wieder da!«, rief, sie, als sie die Tür hinter sich schloss.
Keine Antwort.
Muss wieder irgendwo ein Garagenverkauf sein,
dachte das Mädchen.
Nein, doch nicht am ersten Tag im neuen Jahr.
Sie ging in ihr Zimmer hinauf.
Der Raum war klein. Eine Tür führte ins Ankleidezimmer.
Ein altes Bett stand drin, weich und durchgelegen. Sie ließ sich drauffallen und seufzte unbewusst, als ihr Körper in die durchhängende Tiefe in der Mitte rollte. Im Zimmer war gerade genug Platz für einen rosa-weißen Spiegeltisch, das Bett und einen schmalen Gang dazwischen. Das Ankleidezimmer war mit alten Sachen und Kleidungsstücken voll gestopft. Das Mädchen liebte diese alten Dinge.
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