Die Gelehrten der Scheibenwelt
vor seinem Erzrivalen Jacques Villeneuve. Villeneuves Mannschaftskamerad Heinz-Harald Frentzen könnte eine entscheidende taktische Rolle spielen. Die Fahrer kämpfen um die Führungsposition beim Start, die derjenige erhält, der in der Qualifikation die schnellste Runde fährt. Was also geschieht? Was noch nie geschehen ist: Villeneuve, Schumacher und Frentzen fahren alle in 1 Minute 21,072 Sekunden, bis auf eine Tausendstelsekunde dieselbe Zeit. Ein erstaunlicher Zufall.
Nun ja: Ein ›Zufall‹ war es gewiß – die Rundenzeiten fielen zusammen. Aber war es wirklich erstaunlich?
Fragen dieser Art treten auch in der Wissenschaft auf, und sie sind wichtig. Wie signifikant ist eine statistische Häufung von Leukämie in der Nähe eines Kernkraftwerks? Weist eine starke Korrelation zwischen Lungenkrebs und einem Raucher in der Familie wirklich darauf hin, daß passives Rauchen gefährlich ist? Sind sexuell abnorme Fische ein Anzeichen für östrogenartige Chemikalien in unserem Trinkwasser?
Ein Beispiel. Es heißt, 84 % der Kinder von israelischen Jagdpiloten seien Mädchen. Was ist am Leben eines Jagdpiloten so besonders, daß es solch ein Überwiegen von Mädchen hervorruft? Oder ist es nur eine statistische Abweichung? Das ist schwer zu entscheiden. Was man so aus dem Bauch heraus empfindet, ist weniger als nutzlos, da Menschen in bezug auf zufällige Ereignisse eine ziemlich schlechte Intuition haben. Viele Leute glauben, Lottozahlen, die bisher nicht vorkamen, würden in Zukunft mit höherer Wahrscheinlichkeit gezogen werden. Aber das Ziehungsgerät hat kein ›Gedächtnis‹ – seine Zukunft hängt nicht von seiner Vergangenheit ab. Diese bunten Plastikkugeln wissen nicht, wie oft sie bei früheren Ziehungen herausgekommen sind, und sie neigen nicht dazu, frühere Ungleichmäßigkeiten auszugleichen.
Unsere Intuition geht noch mehr in die Irre, wenn es um zufälliges Zusammentreffen geht. Man geht ins Schwimmbad, und der Mann hinterm Schalter nimmt zufällig einen Schlüssel aus der Schublade. Man kommt in den Umkleideraum und sieht erleichtert, daß nur wenige Schränke vergeben sind … und dann stellt sich heraus, daß drei Leute die Schränke neben einem bekommen haben, und man entschuldigt sich andauernd und schlägt Türen gegeneinander. Oder man ist zum einzigen Mal im Leben auf Hawaii – und trifft auf den Ungarn, mit dem man in Harvard zusammengearbeitet hat. Oder man zeltet in den Flitterwochen in einer abgelegenen Gegend von Irland – und man begegnet mit seiner neuen Frau seinem Fachbereichsleiter mit dessen neuer Frau, wie sie einem am sonst menschenleeren Strand entgegenkommen. Das alles ist Jack passiert.
Warum finden wir zufälliges Zusammentreffen so frappierend? Weil wir erwarten, daß zufällige Ereignisse gleichmäßig verteilt sind, also überraschen uns statistische Häufungen. Wir glauben, eine ›typische‹ Lottoziehung sei etwas in der Art von 5, 14, 27, 36, 39, 45, aber 1, 2, 3, 19, 20, 21 sei viel weniger wahrscheinlich. Tatsächlich haben diese beiden Anordnungen von Zahlen genau die gleiche Wahrscheinlichkeit: 1 zu 13 983 816. Eine typische Lottoziehung enthält oft mehrere Nummern nahe beieinander, weil Folgen von sechs Zufallszahlen von 1 bis 49 mit höherer Wahrscheinlichkeit Häufungen bilden als keine.
Woher wissen wir das? Wahrscheinlichkeitstheoretiker untersuchen solche Fragen, indem sie ›Stichproben-Räume‹ verwenden – so nennen sie das, was bei uns weiter oben als ›Phasenraum‹ vorkam, ein sinnbildlicher ›Raum‹, in dem alle Möglichkeiten organisiert sind. Ein Stichprobenraum enthält nicht nur die Ereignisse, die uns interessieren, sondern alle möglichen Fälle. Wenn wir beispielsweise einen Würfel werfen, ist der Stichprobenraum 1, 2, 3, 4, 5, 6. Fürs Lotto beispielsweise ist er die Gesamtheit aller Folgen von sechs verschiedenen Zahlen im Bereich von 1 bis 49. Jedem Ereignis im Stichprobenraum wird ein numerischer Wert zugeordnet, der als dessen Wahrscheinlichkeit bezeichnet wird. Für ungezinkte Würfel ist jeder Wert gleichermaßen wahrscheinlich, die Wahrscheinlichkeit beträgt 1:6. Ebenso beim Lotto, nur daß hier die Wahrscheinlichkeit 1:13 983 816 beträgt.
Wir können die Methode des Stichprobenraums verwenden, und grob abzuschätzen, wie erstaunlich die Übereinstimmung bei der Formel 1 war. Spitzenfahrer absolvieren eine Runde ziemlich genau mit derselben Geschwindigkeit, daher können die drei besten Zeiten ohne weiteres in den
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