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Die Gelehrten der Scheibenwelt

Die Gelehrten der Scheibenwelt

Titel: Die Gelehrten der Scheibenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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aufgeführt werden muß. Im Grunde ist die Küche für Säugetiere eine wirklich gut geregelte Backröhre, die eine schön gleichmäßige Temperatur gewährleistet, so daß nichts davon im Kochbuch erwähnt zu werden braucht.* [ * Wie viele Kochbücher haben Sie, in denen steht, daß Sie Wasser zum Kochen bringen sollen, aber nie, in welcher Höhe überm Meeresspiegel das getan werden sollte? Es spielt eine Rolle: Mit steigender Höhe sinkt der Siedepunkt des Wassers. ] In der Froschküche dagegen steigt und sinkt die Temperatur in Abhängigkeit von der Tageszeit und vom Wetter; also muß das Rezept auf alle Eventualitäten eingehen, was mehr DNS-Code erfordert. Mit ›Küche‹ meinen wir hier die Umgebung, in der sich der Tierembryo entwickeln muß. Für einen Frosch ist die Küche ein Teich. Für ein Säugetier ist es die Mutter.
    Die Säugetiere haben eine gute Temperaturkontrolle entwickelt, anders als die Reptilien sind sie warmblütig. Es kommt aber weniger darauf an, warm zu sein, als vielmehr die Temperatur regeln zu können. Frosch-DNS enthält massenweise Gene für die Herstellung zahlreicher verschiedener Enzyme, dazu Anweisungen in der Art »verwende Enzym A, wenn die Temperatur unter 6 °C liegt, verwende B bei einer Temperatur von 7 °C bis 11 °C, verwende C bei einer Temperatur von 12 °C bis 15 °C …« Säugetier-DNS sagt nur »Verwende Enzym X« und weiß, daß die Mutter sich um Temperaturschwankungen kümmern wird. Frosch-DNS ist eine Rakete, Säugetier-DNS ein Weltraumlift.
    Wie hat sich diese Veränderung zugetragen? Zu Beginn der Säugetierentwicklung kamen zu ihrer DNS vielleicht zusätzliche Anweisungen hinzu, doch nachdem sich die Temperaturkontrolle herausgebildet hatte, wurde ein großer Teil der DNS überflüssig und entweder aufgegeben oder anderen Zwecken dienstbar gemacht. Andererseits haben wir keine Ahnung, wie die DNS früher Säugetiere wirklich aussah; vielleicht war damals alles kürzer, vielleicht haben heutige Frösche und Molche viel umfangreichere Rezepte als die damaligen. Aber unterm Strich ist es wahrscheinlicher, daß die Säugetiere einfach einen Überschuß an Anweisungen größtenteils eliminierten.
    Moderne Technik verwendet denselben Trick. Da die Maschinen, die moderne Konsumgüter herstellen, außerordentlich präzise und akkurat sind, können diese Güter einfacher sein, als sie in der Vergangenheit waren. Eine Bierdose zum Beispiel ist nicht viel mehr als ein Stück Aluminium, das zu einem Zylinder geformt ist, mit einem weiteren flachen Stück Aluminium oben als Deckel und darin einer dünnen Linie, an der der Deckel aufreißen soll, sowie einem am Deckel befestigten Ring (oder neuerdings einem Hebel). Sie ersetzt die Flasche, die aus zwei oder mehr Stücken geschmolzenen Glases bestand, die ›zusammengeschweißt‹ wurden, aus einer Metallkappe und einer Korkscheibe. Die Einfachheit der Dose hat ihren Preis: sehr sorgfältige Steuerung des Herstellungsprozesses.
    Es gibt viele Wissenschaftler, die darauf bestehen, daß die DNS eines Organismus alles an ihm festlegt – obwohl sie es offensichtlich nicht tut –, und die argumentieren, daß das Temperatur-Kontrollsystem der Mutter in ihrem DNS-Rezept enthalten ist. Das mag durchaus zutreffen, doch selbst dann ist die DNS ›dieses Organismus‹ irgendwie zu einem anderen gewandert (zur Mutter, nicht zum Kind). Sobald zwei Generationen daran beteiligt sind, die genetische Konstruktionszeichnung umzusetzen, öffnet sich eine Lücke, in die Dinge eingefügt werden können, die überhaupt nicht genetisch sind. Einige davon haben wir schon erwähnt, zum Beispiel Prionen in der Fortpflanzung der Hefe.
    Unsere Säugetier-Abstammung ist vielleicht sogar für einen der bizarreren modernen Mythen verantwortlich, für die nicht endenden Geschichten von Menschen, die von Außerirdischen entführt worden sein sollen. UFOlogen behaupten, daß mittlerweile jeder zwanzigste Amerikaner behauptet, solch eine Erfahrung gemacht zu haben (hat er doch, oder?). Wenn diese Zahl stimmte, so wäre sie ein bemerkenswerter und nicht sehr erfreulicher Kommentar entweder zum kritischen Denkvermögen dieser großen Nation oder zu den Gewohnheiten einer unbekannten raumfahrenden Spezies.
    Sie stimmt aber nicht. Sie stammt aus einer Roper-Umfrage aus dem Jahre 1994, die ergab, daß einer von fünfzig Amerikanern solch eine Erfahrung gemacht habe. Doch wie Joel Best 2001 in seinem Buch Damned Lies and Statistics (Verdammte Lügen und

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